Kerstin Hazibar

Leichte Sprache

Leichte Sprache bezeichnet eine besonders leicht verständliche sprachliche Ausdrucksform[1]. Durch die Aufbereitung von Texten und anderer Materialien in leicht lesbarer und verständlicher Form sollen sprachliche Barrieren abgebaut und möglichst vielen Menschen der Zugang zu Information eröffnet werden. Das Angebot in Leichter Sprache richtet sich in erster Linie an Menschen mit sog. Lernschwierigkeiten. Als weitere Zielgruppen werden Menschen, die als mit Migrationshintergrund gelten, ältere Menschen und sog. Analphabet/innen genannt.

Bereits in den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde vor dem Hintergrund des systematischen Ausschlusses von Menschen mit Behinderungen aus gesellschaftlichen Teilhabebereichen die Forderung nach Normalisierung der Lebensbedingungen mit dem Recht auf Zugang zu Information verknüpft. Leichte Sprache als ein auf bestimmten Regeln basierendes Konzept gab es zu jener Zeit noch nicht.

Die Entwicklung des Konzeptes „Leichte Sprache“ ging aus den Selbstvertretungs-bewegungen Mitte/Ende der 1990er hervor; zumindest kann dies für Deutschland und auch für Österreich gesagt werden[2]. Unter dem Motto „Wir vertreten uns selbst!“ verwiesen Menschen mit Lernschwierigkeiten auf gesellschaftliche Ausschließungen aufgrund von Sprache. Maßgeblich beteiligt an der Entwicklung des Konzepts und Forderung des Rechts auf Leichte Sprache im deutschsprachigen Raum war und ist Mensch zuerst – Netzwerk People First Deutschland e. V., eine Selbstvertretungs-Vereinigung von und für Menschen mit Lernschwierigkeiten (http://www.people1.de/index.html).

Anliegen und Idee des Konzepts von Leichter Sprache ist es – zumindest im Sinne der Selbstvertretungsbewegung –, eine Demokratisierung schwer zugänglicher Inhalte voranzubringen, die über die Idee einer reinen Zurverfügungstellung bestimmter Inhalte in Leichter Sprache hinausgeht. Leichte Sprache kann somit als ein Hilfsmittel zur selbstbestimmten und aktiven Erschließung neuer Lebensräume für Menschen, die bislang am Zugang zu Information behindert wurden, verstanden werden. Die Beschaffung von Information bedeutet demnach Zugang zu gesellschaftlichen Teilhabebereichen und bildet eine der Voraussetzungen für das Sprechen für sich selbst und das selbstbestimmte Vertreten der eigenen Ansprüche.

Als Ausgangspunkt dieser Entwicklungen im deutschsprachigen Raum wird der Kongress der Lebenshilfe 1994 in Duisburg genannt, an dem Menschen mit Lernschwierigkeiten erstmals im Rahmen einer größeren Öffentlichkeit einforderten, über ihre Lebensumstände selbst zu verfügen. Zu jener Zeit erschienen erste deutschsprachige Publikationen in Leichter Sprache und über Leichte Sprache. 2006 gründete sich das Netzwerk Leichte Sprache, das sich zum Ziel setzt, den Austausch zu und in Leichter Sprache zu befördern (http://www.leichte-sprache.org/).

Schließlich mit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention wurden Leichte Lesbarkeit und Verständlichkeit von Texten als ein Recht verbrieft.

 

Kriterien der Leichten Sprache

In der Anwendung von Leichter Sprache wurden eine Reihe unterschiedlicher Kriterien definiert, die dabei unterstützen sollen, schwierige Sachverhalte zu vereinfachen:

Hier einige der wichtigsten Regeln:

Sprache:

·         Die Sätze sollten möglichst kurz gehalten werden

·         Pro Satz nur eine Aussage

·         Pro Zeile ein Satz

·         Neben- bzw. Schachtelsätze sollten vermieden werden

·         Fachausdrücke und Fremdwörter sollten nicht verwendet bzw. erläutert werden

·         Verwendung kurzer Wörter. Wenn es sich um zusammengesetzte Wörter handelt, sollten diese durch einen Bindestrich getrennt werden

·         Vermeidung von Konjunktiv und Passivformulierungen

·         Positive Formulierungen anstelle von Verneinungen

Schrift:

·         Verwendung von Schriftgröße 14

·         Keine Serifenschrift wie bspw. Times New Roman. Klare Schriftarten wie Arial

·         Keine Kursivschreibung oder Blockbuchstaben

Textgestaltung/Layoutierung:

·         Häufig wird der geschriebene Inhalt mit Bildern, Symbolen und grafischen Unterstützungen illustriert.

·         Kein Blocksatz, sondern linksbündig formatiert

·         Viele Absätze

·         Möglichst Zwischenüberschriften

 

Mehr dazu unter:

http://www.leichtesprache.org/downloads/Regeln_Netzwerk_Leichte_Sprache.pdf

Gekennzeichnet werden Materialien in Leichter Sprache bspw. mit dem lizenzfreien Logo von Inclusion Europe:

© Inclusion Europe

 

Leichte Sprache ist keine Kindersprache! Die LeserInnen werden grundsätzlich in der Sie-Form als Erwachsene angesprochen.

Anspruch der Leichten Sprache ist nicht, Inhalte in ihrem Sinnzusammenhang zu verkürzen, sondern den vollständigen Inhalt in einfacheren Worten zu erläutern. Als ein unverzichtbares Kriterium der Qualitätssicherung gilt die Überprüfung der Verständlichkeit durch die jeweilige Zielgruppe, an die sich das Angebot richtet.

Das Angebot an Materialien in Leichter Sprache wird zunehmend umfassender, wenngleich die Bereitstellung von Informationen in Leichter Sprache noch immer keine Selbstver-ständlichkeit darstellt.

 

Auswahl an Materialien in und weiterführenden Informationen zu Leichter Sprache

 

·         Netzwerk Leichte Sprache: http://www.leichtesprache.org/

·         Mensch zuerst – Netzwerk People First Deutschland e. V.: www.people1.de/was_halt.html

·         Das Wörterbuch für leichte Sprache, das im Rahmen des vierjährigen Modellprojekts „Wir vertreten uns selbst“ erstmals herausgebracht wurde, enthält Anleitungen zur Erstellung leicht verständlicher Texte, sowie einen Lexikonteil, in welchem zahlreiche Begrifflichkeiten in Leichter Sprache erklärt werden:
http://www.people1.de/shop/1.php

·         In der digitalen Bibliothek bidok Leicht Lesen gibt es mittlerweile eine umfangreiche und frei zugängliche Sammlung an Texten in Leichter Sprache. Die Texte werden von einer Redaktion ausgewählt. Aufgenommen werden ausschließlich Texte, die sich dem Gedanken der Inklusion von Menschen mit Behinderungen verpflichtet fühlen. Die ausgewählten Texte sind unterschiedlichen Themenbereichen zugeordnet und mittels verschiedener Suchoptionen auffindbar. Darüber hinaus stellt die Bibliothek auch andere Medienformate bereit, wie Filme oder Links zu weiteren Homepages in Leichter Sprache: http://bidok.uibk.ac.at/leichtlesen/

·         Hurraki ist ein nichtkommerzielles Onlinewörterbuch, das schwierige Begrifflichkeiten in Leichter Sprache erläutert. Als freizugängliches, interaktives Medium im Sinne eines Wiki ist Hurraki auf freiwillige Beiträge von UserInnen angewiesen: http://www.hurraki.de

 

Literatur:

Dannenbeck, Clemens: Wie kritisch ist der pädagogische Inklusionsdiskurs? Entpolitisierungsrisiko und theoretische Verkürzung. In: Kerstin Rathgeb (Hg.): Disability Studies. Kritische Perspektiven für die Arbeit am Sozialen. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2012.

Tiedeken, Peter: Kunst und Inklusion – Aktive Mitgestaltung statt passiver Teilhabe. In: Zeitschrift für Inklusion, Nr. 1-2, 2012. Online verfügbar unter: http://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion/article/view/157/149 [Zugriff: 21.05.2013]

 

Kontakt:

Mag.a Kerstin Hazibar

Projekt bidok / Institut für Erziehungswissenschaft, Innsbruck

Mai 2013

 



[1]Peter Tiedeken kritisiert aus konstruktivistischer Perspektive die Verwendung der Attribute „leicht“ oder „einfach“, da diese suggerieren, es gäbe eine allgemein verständliche Konzeption von Sprache (vgl. ebd. 2012). Auch Clemens Dannenbeck äußert sich kritisch gegenüber einem universalisierenden Anspruchs von Leichter Sprache (ebd. 2012, 59).

[2] In den USA, auch in einigen nordeuropäischen Ländern lassen sich konkrete Forderungen nach Verwendung von leichter Sprache bereits früher ausmachen.