Sina-Mareen Köhler
Asperger-Syndrom und hochfunktionaler Autismus
„Mit
38 Jahren erhielt ich die Diagnose Asperger-Syndrom, wodurch sich mein Leben
derart änderte, dass oben plötzlich unten war und absolut nichts mehr, wie ich
glaubte. Vom Versager zum Autisten in 24 Stunden“ (Vero 2015, 251).
Das
Asperger-Syndrom und der hochfunktionale Autismus unterscheiden sich von
anderen Autismusvarianten aufgrund der durchschnittlichen bis hohen IQ-Werte. Sind
zusätzlich die Kernsymptome[1]
für das Autismus-Spektrum nach DSM 5 und ICD-11 nur gering ausgeprägt, dann
kann es, wie im Falle von Gee Vero, gut sein, dass eine Diagnose erst im
Erwachsenenalter gestellt wird. Dass die sogenannte Spätdiagnose keine
Seltenheit ist, zeigen Forschungen zu Studierenden im Autismus-Spektrum. Laut
einer nicht repräsentativen europäischen Studie erhalten bis zu 50% der
autistischen Studierenden erst im Studienverlauf eine Diagnose (vgl. Fabri et
al. 2016, 14). Geht
mit der Spätdiagnose eine umfassende Aufklärung der Person selbst und ihres
sozialen Umfeldes einher, können die als „Versagen“, „Unfähigkeiten“ oder
„nicht normal“ abgestempelten Kommunikations- und Verhaltensweisen
stärkenorientiert umgedeutet werden. Barrieren sind für Personen mit
Asperger-Syndrom oder hochfunktionalem Autismus also ein Stück weit anders[2], gleichzeitig
aber kongruent mit den gängigen für das Autismus-Spektrum belegten Alltagsanforderungen.
Historische Entwicklung der beiden Kategorien
Psychische Besonderheiten, die als Asperger-Syndrom oder hochfunktionaler Autismus diagnostiziert und beforscht werden, wurden bereits in der ersten Hälfte des 20. Jh. u.a. von Grunja E. Ssucharewa (1925) und dem Namensgeber Hans Asperger[3] (1943) aus medizinischer und klinisch-psychologischer Perspektive dokumentiert. Eine systematische Forschung dazu ließ jedoch auf sich warten. Erst Anfang der 1980er Jahre wurden die Grundannahmen Aspergers in Teilen für den angloamerikanischen Sprachraum übersetzt und weiterentwickelt, u.a. von Lorna Wing (1981), die das Asperger-Syndrom als Bestandteil des Autismus-Spektrums verortete. Mitte der 1990er erschienen der DSM 4 und ICD 10, die erstmalig das Asperger-Syndrom als Unterkategorie des Autismus systematisierten. Abgegrenzt wird das Asperger-Syndrom durch die fehlenden sprachlichen und kognitiven Entwicklungsverzögerungen und den durchschnittlichen bis höheren IQ-Werten. Umstrittene Abgrenzungsmerkmale zum hochfunktionalen Autismus bestehen aus einem postulierten höheren Interesse an sozialen Beziehungen und der motorischen Ungeschicklichkeit (vgl. Hippler & Klicpera 2008, 332). Neuere Studien widerlegen allerdings die „aspergertypische“ Ungeschicklichkeit und beschreiben für das Autismus-Spektrum die motorischen Besonderheiten als „assoziierte Symptome“, wie Handwedeln, Oberkörperwippen etc. (vgl. Dziobek & Köhne 2015, 266). Der weniger beforschte hochfunktionale Autismus gilt als Kanner-Autismus (frühkindlicher Autismus), aber mit durchschnittlichen bis hohen IQ-Werten (vgl. Osterrieder 2010, 36; Theunissen 2015, 169). Mittlerweile werden die beiden Autismusvarianten zunehmend synonym betrachtet, sowohl empirisch als auch therapeutisch. Wenngleich dies auch kritisch gesehen wird (vgl. Margari et al. 2020, 2). Letztendlich hat sich die Abgrenzung der Subkategorien vor allem auch in der Diagnosepraxis als nicht trennscharf erwiesen und wird in der dimensionalen Konzeptionalisierung als Autismus-Spektrum-Störung[4] im DSM 5 und ICD 11 nicht mehr als Subkategorie aufgeführt. Darüber hinaus wird dort die Autismus-Spektrum-Störung als „neurodevelopmental disorder“ (WHO 2020) nicht mehr wie im ICD 10 als „pervasive developmental disorder“ (WHO 2016) bezeichnet.
Neurowissenschaftliche Grundlagen und Neurodiversity
Die auf das Autismus-Spektrum bezogene Forschung erfolgt aus Perspektive der Psychologie, der Medizin, der Neurowissenschaft und der Erziehungswissenschaft. Sie bezieht sich vorwiegend auf die Bereiche Diagnostik, Ursachen und Verlauf, Komorbidität und Intervention. Wenngleich die Ursachenforschung[5] zu Autismus noch nicht abgeschlossen ist, so gibt es doch die drei klassischen kognitions- und neuropsychologischen Erklärungsansätze: die Theory of Mind, das Konzept der exekutiven Funktionen und die Theorie der schwachen zentralen Kohärenz (vgl. Eberhardt (2012) in diesem Lexikon). Letztere wird aktuell stark diskutiert und mit den Annahmen des Modells der Enhanced Perceptional Functioning verknüpft (vgl. Theunissen 2016, 70ff.). Bei der Theorie der schwachen zentralen Kohärenz handelt es sich um eine von Uta Frith (1991) ausgearbeitete psychologische Theorie, die beinhaltet, dass Personen im Autismus-Spektrum ihre Umwelt vergleichsweise detailorientiert wahrnehmen und damit verbunden in geringerem Maße Kontextualisierungen bilden. Ihr Denkstil ist weniger holistisch und es bestehen mehr Schwierigkeiten Sinnzusammenhänge der Alltagskommunikation (soziale Sprachpragmatik) zu entschlüsseln. Allerdings können im Detail liegende Fehler eher erkannt werden. Das auf neurowissenschaftlichen Studien von Mottron (2015) basierende Modell der Enhanced Perceptional Functioning bezieht sich auf die „Wahrnehmungsverarbeitung nicht-sozialer Reize“ (Mottron 2015, 119) und besteht aus acht Grundannahmen. Hinsichtlich der verschiedenen Hirnregionen wird von anders gelagerten und unterschiedlich stark ausgeprägten neuronalen Aktivitäten ausgegangen. Festgestellt wird eine geringere Aktivität der für das globale Wahrnehmen und Verarbeiten von Informationen (Informationsverarbeitungsprozesse höherer Ordnung) zuständigen neuronalen Netzwerke. Andere Hirnregionen sind dafür überdurchschnittlich neuronal vernetzt und verstärken die Detailwahrnehmung und -verarbeitung im Sinne der vorrangigen Wahrnehmung von Reizen auf einer niedrigschwelligen Ebene. Die mit diesem Modell postulierte andere Wahrnehmungsmodalität wird ausdrücklich als nicht defizitorientiert angesehen. Diese andere Art der Informationsverarbeitung kann als eine Erscheinung von Neurodiversität angesehen werden.
Eine stärkenorientierte Perspektive im Diagnose- und Therapieprozess sowie eine anerkennende Umgangsweise mit Menschen im Autismus-Spektrum sind Forderungen der sich seit den 1990er Jahren zunehmend formierenden gesellschaftspolitischen Bewegungen mit Bezug auf das Autismus-Spektrum (vgl. Theunissen 2016, 49). Im Zentrum steht die mit Judy Singer verbundene Programmatik der neurodiversity. Diese bezieht sich im engeren Sinne auf die „menschlichen Varianten“ der neuronalen und kognitiven Entwicklung und im weiteren Sinne werden auch emotionale Zustände und Fähigkeiten einbezogen (vgl. Chown 2020, 1). Der Kerngedanke besteht darin, von einer mannigfaltigen Verschiedenheit auszugehen und die Unterscheidung in normal/nicht-normal bzw. typisch/atypisch zu überwinden. Wie das folgende Zitat zeigt:
„An individual whose cognitive and/or sensory functioning differs from that of the neurotypical population is said to be “neurodivergent,” whereas the concept of “neurodiversity” expresses the diversity of cognitive and sensory functioning and in so doing refers to the entire population, i.e., the concept encompasses neurodivergent people and neurotypical people“ (Chown 2020, 1).
Autismus wird dementsprechend nicht als Krankheit oder Hirnstörung verstanden, sondern als Ausdruck eines anderen so-seins in der Welt von vielen weiteren Selbst- und Weltverhältnissen. Die Diskurse mit Rekurs auf das Konzept der Neurodiversität laufen aber, wie viele, die an die Bezeichnung „divers“ anschließenden Diskurse, dennoch Gefahr einer Reifizierung, nämlich immer dann, wenn damit die Forderung nach mehr Anerkennung und Teilhabe einer bestimmten Gruppe einhergeht und genau diese Gruppe doch wieder als eben diese adressiert und konstruiert wird (vgl. Katzenbach 2015, 24). Identitäts- und Zugehörigkeitsanforderungen können dann an den Befund „Autismus-Spektrum“ geknüpft werden, ohne dass sich der Einzelne total darüber definiert. Die Neurodiversitätsbewegung hat eine identitätsgebende und vergemeinschaftende Wirkung, wodurch Halt und Unterstützung möglich sind. Gruppentheoretisch sind Kohäsion und Distinktion zwei miteinander verzahnte Mechanismen und diesbezüglich zu reflektieren. Die Kombination von Ansätzen der Neurodiversität mit denen der Intersektion und Inklusion hält Theunissen (2016, 51) in diesem Zusammenhang für ertragreich. Zusätzlich zur möglichen (Über)Identifikation im Rahmen der Neurodiversitätsbewegung kritisiert Francisco Ortega den Fokus auf die neuronalen Funktionen:
„If, on the one hand, seeing oneself as a cerebral subject bolsters one’s sense of identity and helps erase the social stigma often associated with mental pathology, it may, on the other hand, somewhat solipstistically narrow the notion of what it is to be a person. Such, then, are the dilemmas and controversies of the neurodiversity movement. Its own members’ search for community and relation is in tension with its own reductionistic identity politics, in which selves result from the mechanics of the brain“ (Ortega 2009, 441).
Auseinandersetzungen mit dem Gefühl des anders-seins aber auch ähnlich-seins finden im Lebensverlauf Eingang in das Selbstbild und basieren auf den biografisch relevanten Erfahrungen von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter. Dabei entwickeln sich auch im unbewussten Prozess die für ein autonomes Leben relevanten Konzepte wie Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstschätzung (vgl. Honneth 1992, 211). Gerade die pädagogische Arbeit mit Personen im Autismus-Spektrum sollte sich mit den Biografisierungen auch von sozialen Beziehungserfahrungen auseinandersetzen. Selbst wenn dieses Biografisieren vielleicht gar nicht oder einfach anders erfolgt und weniger zugänglich ausgedrückt wird. Programme und Methoden, die auf die Perspektivenübernahmefähigkeit und das Verständnis sozialer Interaktion abzielen, beinhalten mittlerweile auch neuere digitale Techniken.
Pädagogische Förderung mit digitalen Technologien
Ein nicht ausgeschöpftes Potential ist für den Bereich der digitalen (Lern)Technologien zu konstatieren. Für autistische Kinder- und Jugendliche wurde eine Vielzahl an digitalen Spiel- und Erprobungsmöglichkeiten entwickelt, z.B. Transporter 56 (vgl. CAL 2020), Zirkus Empathico (vgl. Zoerner et al. 2018). Zusätzlich gibt es Training-Tools, die im Rahmen von Kompetenztrainings eingesetzt werden, z.B. Camp Exploration (vgl. Autism Europe 2020). Inhaltlich bieten interaktive E-Books natürlich auch eine Möglichkeit zur Förderung sowie Binnendifferenzierung im Unterricht (vgl. Mandak et al. 2018). Für interaktive Textanwendungen können zudem zusätzliche Erläuterungen und Bilder hilfreich sein. Dazu liefert der Ansatz TEACCH Hinweise zum Einsatz von Piktogrammen und zur Erstellung von sehr kleinschrittigen Handlungsanweisungen (vgl. Schatz & Schellbach 2015). Innovativ sind zudem VR-Trainings. Für die Vorbereitung auf Bewerbungsgespräche, eine der größten Hürden für Personen im Autismus-Spektrum, wurde beispielsweise das VR Job Interview Training entwickelt und erprobt (vgl. Smith et al. 2014). Gleichfalls sind Tools zur Studienorganisation ein Gewinn (vgl. Autism&Uni 2020). In Zeiten steigender Vernetzung und Digitalisierung bestehen vielseitige Möglichkeiten zur Förderung von Autonomie.
Quellen:
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[1] Dazu zählen die Dimension A: „Defizite in der sozialen Kommunikation und sozialen Interaktion“ (Tebartz van Elst 2016, 108) sowie die Dimension B: „restriktive, repetitive Muster von Verhalten, Interessen oder Aktivitäten“ (Tebartz van Elst 2016, 108). Die Dimension B umfasst auch den spezifischen Umgang mit sensorischen Reizen, wie eine höhere Sensibilität oder darauf bezogene Interessen (vgl. Tebartz van Elst 2016, 108).
[2] Mit Blick auf die Verbreitung bilden sie jedoch nicht die Mehrheit, worauf die Prävalenz 0,3 – 1 für das Asperger-Syndrom verweist. Eine entsprechende Rate für den hochfunktionalen Autismus liegt nicht vor. Für die Autismus-Spektrum-Störung wird aktuell von einer weltweiten Prävalenzrate zwischen 0,6 - 1,47 und einer steigenden Zunahme ausgegangen (vgl. Autismus e.V. 2020; Becerra‑Culqui et al. 2018; Tebartz van Elst 2016). Zudem wurde für 62-83% der erfassten Personen im Autismus-Spektrum ein IQ von unter 85 festgestellt, wodurch auf sie das Asperger-Syndrom oder der hochfunktionale Autismus nicht zutreffen (vgl. Lindmeier 2018, 399). Eine allgemeine statistische Erfassung von Personen im Autismus-Spektrum gibt es für Deutschland nicht. Ein Großteil der Publikationen bezieht sich auf Daten des Centers for Disease Control and Prevention, wobei sich deren Erfassung auf 8-Jährige bezieht.
[3] Eine aufschlussreiche Auseinandersetzung mit der Karriere und Wirkung Hans Aspergers zu Zeiten des Dritten Reiches findet sich bei Czech (2018) (in zusammengefasster Variante durch Linus Müller https://autismus-kultur.de/autismus /geschichte/hans-asperger.html#aspergers-politischer-hintergrund-bis-1938).
[4] Der Begriff „Störung“ geht mit statistischen, sozialen und technischen Normkonstruktionen einher (vgl. Tebartz van Elst 2016, 20ff.) und fokussiert je nach Verwendung und Bezugstheorie Abweichungen, Dysfunktionen oder Defizite. In einigen Diskursen zum Autismus wird die Bezeichnung Autismus-Spektrum verwendet, um die negative Konnotation des Störungsbegriffes zu vermeiden (vgl. Lindmeier 2018; Theunissen 2016).
[5] Unterscheidet man wie Tebartz van Elst (2016) zwischen einem primären und einem sekundären Autismus, dann gehen damit zwei Ebenen der Auseinandersetzung mit den Ursachen einher. Hinsichtlich des sekundären (symptomatischen) Autismus‘ ist nachweisbar, dass die autismustypischen Symptome auf konkrete Ursachen (z.B. das Rett-Syndrom) zurück zu führen sind. Dieser bezieht sich allerdings nur auf 10% der gestellten Diagnosen. Demgegenüber sind die Ursachen des primären (idiopathischen) Autismus‘ bisher nicht vollständig geklärt. Es wird von einem „Zusammenspiel einer komplexen, multigenetischen Vererbung mit biografischen Umweltfaktoren“ (Tebartz van Elst 2016, 101) ausgegangen.
Universitätsprofessorin Dr. phil. Sina-Mareen Köhler
Februar 2021
Quellenverweis: http://www.inklusion-lexikon.de/Autismus_Koehler.php