Andreas Köpfer

Unterstützung / Support

Der Begriff „Unterstützung“ ist in verschiedenen Lebensbereichen gebräuchlich und kann in seinem weiten Anwendungsradius nicht isoliert im Hinblick auf pädagogische Kontexte betrachtet werden. Im Allgemeinen wird mit Unterstützung eine Leistung gemeint, die einer Person oder Sache entgegengebracht wird, damit diese in die Lage versetzt wird, eigenständig, selbstbestimmt und unabhängig zu agieren und zu bestehen. Das verbale Komposition, bestehend aus dem Präfix „unter“ und dem Wortstamm „stützen“ verdeutlicht dabei bildlich die basale Form von Hilfeleistung. Der Begriff wird zum Beispiel in ökonomischen Feldern (Arbeitslosenunterstützung, ugs. „Stütze“), im Bauwesen oder in sozialen Kontexten im Sinne von sozialer / pädagogischer Unterstützung verwendet. Dabei kann neben der inhaltlichen auch eine teleologische Kategorie von Unterstützung skizziert werden – wie Köpfer (2013, i. Vorb.) unter Bezugnahme auf den englischen Begriff „support“ beschreibt:

„Eine weitere Konnotation lässt sich über den etymologischen Zugang zum englischen Begriff ‚support‘ (dt. = „Unterstützung“) generieren, der seinen Ursprung im lateinischen ‚supportare‘ (dt. „heranbringen“) hat und demzufolge eine Leistung meint, die zur unterstützenden Person hingebracht wird. Eine Person wird also nicht zu den Unterstützungsleistungen befördert, sondern die Unterstützungsleistungen sind als mobile Maßnahmen ausgerichtet, die zur Person gebracht werden.“  

 

Hierbei ist zu bemerken, dass der Terminus „Unterstützung“ sowie das englische Äquivalent „support“ ein Vielzahl von sächlichen und personellen Leistungen umfassen und einen weiten Bedeutungs- und Anwendungsradius besitzen. Mittler (2000, 121) beschreibt in diesem Zusammenhang:

„To some, it [support, Anm. d. Verf.] has a reassuring warmth, conjuring up images of understanding and belevolence. To others, it means extra money, equipment and above all additional staff.”

 

Bezogen auf die Denkfigur des Kapitals aus Pierre Bourdieus Sozialtheorie bedeutet dies, dass sich Unterstützungsleistungen für Bildung und Schule in sehr unterschiedlicher Form ausdrücken können, z. B. als ökonomisches Kapital für einen verbesserten Personalschlüssel und besseres Equipment und Material an Schulen, als kulturelles Kapital im Sinne von Bildungsinhalten für Schülerinnen und Schüler oder auch in Form von symbolischem Kapital. Letzteres kann sich in schulischen Kontexten als Form der Anerkennung und des Vertrauensvorschusses äußern (vgl. Ziemen 2009, 96), die einer Schülerin bzw. einem Schüler von einer Lehrperson oder von Mitschüler/innen entgegengebracht wird und sich z. B. – rekurrierend auf Mittler (2000, 121) – in Form von „reassuring warmth“ ausdrücken kann. Unterstützung bzw. „support“ ist also basal, non-kategorial und voraussetzungslos.

Die Schärfung des Begriffs „Unterstützung“ lässt sich im deutschsprachigen Raum an der Kontroverse um den in pädagogischen Kontexten vielfach verwendeten Begriff der „Förderung“ vollziehen. Der Begriff „Förderung“, für den es im Übrigen kein direktes englischsprachiges Äquivalent gibt, wird in schulischen Zusammenhängen primär für die Personengruppe leistungsschwacher bzw. „förderbedürftiger“ Schülerinnen und Schüler angewandt (vgl. Bundschuh et al. 2007, 76). Die Popularität des Begriffes lässt sich hierbei an der Vielzahl von Komposita mit diesem feststellen, z. B. „Förderschwerpunkte“, „Förderschulen“, „Förderbedarf“ oder „Individuelle Förderung“, um nur einige wenige anzuführen. Historisch betrachtet begann die Ausbreitung des Förderbegriffs zunächst in sonderpädagogischen Feldern, um daraufhin auch in der Allgemeinen Pädagogik an Bedeutungszuwachs zu gewinnen (vgl. Graumann 2008, 20 f.). Theunissen (vgl. 2007, 19), merkt an, dass es keine ausreichend tragfähigen Definitionen für „Förderung“ gebe. Zudem fand eine vertiefte theoretische wie etymologische Auseinandersetzung mit dem Förderbegriff bisher nicht statt. In jüngerer Vergangenheit erfuhr der Begriff zunehmend Kritik durch dessen Unvereinbarkeit mit dem Begriff der Bildung (vgl. Jantzen 2012, 268) und durch dessen unidirektionalen, aufoktroyierenden Charakter (vgl. Hinz 2011, 118; Theunissen 2007, 19). Eine Vermischung der Begriffe Bildung, Förderung und Unterstützung, wie z. B. durch das Kompositum „Förderunterricht“ angedeutet, ist daher kritisch zu betrachten (vgl. Arnold & Richert 2008, 27). Darüber hinaus wird ein normorientiertes Förderverständnis zunehmend von einem aus der Empowerment-Perspektive forcierten weiten Verständnis abgelöst, das zur Selbstständigkeit und Selbstbestimmung der zu fördernden Person führen soll (vgl. Theunissen 2007, 19). In letzter Konsequenz würde sich dies in dem bisher skizzierten Unterstützungsverständnis auflösen.      

Inklusive Strukturen, die im Rahmen der inhaltlichen Kategorie „Unterstützung“ gefasst werden, zeichnen sich, Hinz (2008, 43) zufolge, dann als qualitativ aus, wenn sie

·         „nonkategorial organisiert [sind, Anm. d. Verf.], d. h. sie können sich nicht auf bestimmte, abgrenzbare Personenkreise beziehen. […]

·         entspezialisiert arbeiten, d. h. sie sind für eine Vielzahl von Herausforderungen und Problemstellungen offen, ohne sich selbst als omnipotent für all diese Herausforderungen zu betrachten.

·         systemisch angelegt [sind, Anm. d. Verf.], d. h. sie verorten die Herausforderung oder das Problem nicht in einer bestimmten Person – z. B. einer ‚behinderten‘ – sondern beziehen das Umfeld notwendigerweise in ihre Betrachtung von Barrieren ein.“

Reiser (2009 342), der in diesem Zusammenhang den Terminus „sonderpädagogische Unterstützung“ anwendet, beschreibt die Ausrichtung und die Möglichkeiten schulischer Unterstützungssysteme wie folgt:

„Die integrierte schulische Erziehungshilfe hat zur Voraussetzung, dass die zusätzliche Unterstützung der Schule zur Verfügung steht, ohne dass sie durch personengebundene Ressourcenzuweisung legitimiert werden muss. Diese wesentliche Bedingung, die dann auch eine nichtkategorisierende Unterstützung bei Problemen im Lernen, in der Sprachentwicklung und im Verhalten zulässt, stellt einen erheblichen Vorteil dar, da sie eine flexible und nicht stigmatisierende Arbeitsweise ermöglicht.“

 

Auch im Index for Inclusion (Bereich B2 „Organising support for diversity“, Booth & Ainscow 2002, 66 ff.) ist der Unterstützungs- bzw. Supportgedanke als essentieller Bestandteil inklusiver Systeme verankert. Hinz (2008a) führt hier die inklusiven Unterstützungsstrukturen in der kanadischen Provinz New Brunswick an, die in der Dissertationsstudie von Köpfer (2013) vertieft behandelt und als Beispiel für ein umfassendes Unterstützungsverständnis inklusiver Systeme vorgestellt werden.

New Brunswick gilt als eine überaus fortschrittliche und innovative Provinz Kanadas, was inklusive Bildung und Erziehung anbelangt. Sie wurde bereits von der UNESCO (vgl. Hinz 2007, 89) als inklusivsten Schulsystem der Welt und von Andreas Hinz (2006, 149) als „Nordstern für Inklusion“ bezeichnet. Sie verzichtet gänzlich auf gesonderte Beschulung von Kindern mit „Special Educational Needs“ in Förderschulen und betrachtet sonderpädagogische Maßnahmen als ortsunabhängige Dienstleistungen – gemäß der Prämisse von Burns (2004, 7): „Special Education is a service, not a place.“

In Relation zur Heterogenität der Schülerschaft in inklusiven Schulen in New Brunswick haben sich Unterstützungsstrukturen und unterstützende Rollen etabliert, die der Vielfalt an Fragestellungen und Herausforderungen in adäquater Weise Rechnung tragen sollen. Dabei können – wie Köpfer (vgl. 2013) am Beispiel einer Unterstützungspyramide exemplifiziert – verschiedene Ebenen definiert werden:

·         Der Klassenraum und die darin enthaltenen Rollen (Schülerinnen und Schüler, Lehrperson, Teacher Assistant)

·         Das Methods & Resource Team als direkte Ansprechpartner und Reflexionsfläche für Lehrpersonen (vgl. auch Köpfer 2012)

·         Das Schulteam als “Professional Learning Community” (PLC) (vgl. auch DuFour & Eaker 1998)

·         Die Unterstützungsleistungen der Student Services der School Boards, die in enger Kommunikation mit den Schulen stehen und deren Bedarfe aufnehmen

Ohne an dieser Stelle das Unterstützungssystem an inklusiven Schulen in New Brunswick im Detail darlegen zu können, kann im Allgemeinen konstatiert werden, dass die Lehrperson im Zentrum der Unterstützung steht. Die Maßnahmen sind so ausgerichtet, dass die Lehrperson in der Lage ist, der Heterogenität der Schülerschaft adäquat begegnen zu können, sei es durch direkte personelle Unterstützung und Assistenz im Klassenraum (Teacher Assistant), durch Beratungs-, Informations- und Reflexionsinstanzen (Methods & Resource Team) oder durch ein präventiv und non-kategorial angelegtes schulinternes Beratungsgremium (School-based Student Services Team Meeting), in welchem praxisnahe Lösungen für Problemlagen und Herausforderungen von Schülerinnen und Schülern (nicht nur Kinder mit „Special Educational Needs“ ) im Rahmen eines mehrperspektivischen systemischen Zugangs entwickelt werden. (Vgl. Köpfer 2013)

Fazit

In Bezugnahme auf Valery Bradley skizziert Hinz (2008, 49) folgende Entwicklungsphasen:

„Auf die Phase der Institutions-Reform folgt die Phase der De-Institutionalisierung, wieder gefolgt von der Phase des Lebens mit Unterstützung. Diese Phasen machen sich an unterschiedlichen Selbstverständnissen, Problemdefinitionen und Handlungsstrategien der Professionellen fest.“

Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass der Begriff der Unterstützung im Kontext von inklusiver Bildung und Erziehung zunehmend an Bedeutung gewinnt. Während sich die Sonderpädagogik noch in starkem Maße über Terminologien von „Förderung“ und „Assistenz“ definiert, beschäftigt sich der Diskurs um Inklusion zunehmend mit dem Unterstützungs- bzw. „Support“-Begriff, da er mit systemisch und non-kategoriale angelegten Strukturen vereinbar ist.

 

Literatur:

Arnold, KarlHeinz & Richert, Peggy (2008): Unterricht und Förderung: Die Perspektive der Didaktik. In: K.H. Arnold & O. Graumann (Hrsg.): Handbuch Förderung. Weinheim und Basel: Beltz Verlag, S. 2635.

Booth, Tony & Ainscow, Mel (2002): Index for Inclusion: Developing learning and participation in schools. Bristol: CSIE. Online verfügbar unter http://www.eenet.org.uk/resources/docs/Index English.pdf [Zugriff: 05.03.2013].

Bundschuh, Konrad; Heimlich, Ulrich & Krawitz, Rudi (2007) (Hrsg.): Wörterbuch der Heilpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Burns, Edward (2004): The special education consultant teacher: Enabling children with disabilities to be educated with nondisabled children to the maximum extent appropriate. Springfield, IL: C.C. Thomas.

DuFour, Richard & Eaker, Rebecca (1998): Professional learning communities at work: Best practices for enhancing student achievements. Bloomington: Solution Tree.

Graumann, Olga (2008): Förderung und Heterogenität: Die Perspektive der Schulpädagogik. In: K.H. Arnold & O. Graumann (Hrsg.): Handbuch Förderung. Weinheim und Basel: Beltz Verlag, S. 1625.

Hinz, Andreas (2006): Kanada – ein ‚Nordstern‘ in Sachen Inklusion. In: A. Platte, S. Seitz & K. Terfloth (Hrsg.): Inklusive Bildungsprozesse. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 149158.

Hinz, Andreas (2007): Inklusion – Vision und Realität! Herausforderungen in Deutschland und Praxis in Kanada. In: D. Katzenbach (Hrsg.): Vielfalt braucht Struktur. Heterogenität als Herausforderung für die Unterrichts und Schulentwicklung. Frankfurt am Main: GoetheUniversität, S. 8198.

Hinz, Andreas (2008): Inklusion – historische Entwicklungslinien und internationale Kontexte. In: A. Hinz, I. Körner & U. Niehoff (Hrsg.): Von der Integration zur Inklusion. Grundlagen – Perspektiven – Praxis. Marburg: Lebenshilfe, S. 3352.

Hinz, Andreas (2008a): Unterstützung für Vielfalt organisieren. Orientierung an „Student Services Teams“ (Kanada). Online verfügbar unter http://www.inklusionspaedagogik.de/content/blogcategory/76/114/lang,de/ (Letzte Aktualisierung 31.07.2012) [Zugriff: 03.03.2013].

Hinz, Andreas (2011): „Inklusion: Wat mutt, dat mutt“: Interview mit Andreas Hinz. In: heilpädagogik online, Jg. 10, H. 1, S. 115120. Online verfügbar unter http://www.sonderpaedagoge.de/hpo/heilpaedagogik_online_0111.pdf [Zugriff: 05.03.2013].

Jantzen, Wolfgang (2012): Bildung für alle – aber wie? In: Sonderpädagogische Förderung, Jg. 57, H. 3, S. 268-289.

Köpfer, Andreas (2012): Das Methods & Resource Team als Koordinationsstelle einer inklusiven Schule. In: mittendrin e. V. (Hrsg.): Eine Schule für alle. Inklusion umsetzen in der Sekundarstufe. Mülheim an der Ruhr: Verlag an der Ruhr, S. 322325.

Köpfer, Andreas (2013): Inclusion in Canada – Analyse inclusiver Unterrichtsprozesse, Unterstützungsstrukturen und Rollen am Beispiel kanadischer Schulen in den Provinzen New Brunswick, Prince Edwards Island und Québec. Dissertation, Universität zu Köln. (i. Vorb.)

Mittler, Peter (2000): Towards Inclusive Education. London: Falmer.

Reiser, Helmut (2009): Sonderpädagogische Unterstützung zur Nichtaussonderung bei Verhaltensproblemen in der Schule. In: H. Eberwein & S. Knauer (Hrsg.): Handbuch Integrationspädagogik. Kinder mit und ohne Behinderungen lernen gemeinsam. Weinheim, Basel: Beltz Verlag, S. 338348.

Theunissen, Georg (2007): Förderung. In: Theunissen, Georg; Kulig, Wolfram & Schirbort, Kerstin (Hrsg.): Handlexikon Geistige Behinderung. Schlüsselbegriffe aus der Heil- und Sonderpädagogik, Sozialen Arbeit, Medizin, Psychologie, Soziologie und Sozialpolitik. Stuttgart: Kohlhammer, S. 19.

Ziemen, Kerstin (2009): Sozialer Tausch. In: M. Dederich & W. Jantzen (Hrsg.): Behinderung und Anerkennung. Bd. 2 Enzyklopädisches Handbuch des Behindertenpädagogik. Stuttgart: Kohlhammer, S. 96-104.

 

Kontakt:

Dr. des. Andreas Köpfer / Universität zu Köln

andreas.koepfer@uni-koeln.de

April 2013

 

Quellenverweis: http://www.inklusion-lexikon.de/UnterstuetzungSupport_Koepfer.php