Markus Schäfers

Persönliches Budget

Grundidee

Das Persönliche Budget ist ein bedarfsbezogener Geldbetrag, den Menschen mit Behinderung anstelle einer Sachleistung erhalten können, um damit erforderliche Unterstützung nach eigenen Vorstellungen selbst organisieren zu können. Das Persönliche Budget bedeutet den Umstieg von der traditionellen Sachleistung (z. B. in Form eines Wohnheimplatzes) zur Geldleistung und damit eine Umlenkung der wohlfahrtsstaatlichen Geldmittel vom Anbie­ter zum Nutzer der Leistungen. Das Budget soll in einer Weise zugeschnitten sein, dass der Mensch mit Behinderung in die Lage versetzt wird, damit den individuellen Hilfebedarf decken zu können (vgl. Wacker, Wansing & Schäfers 2009; Kastl & Metzler 2005).

Das Persönliche Budget zielt darauf, dass Leistungsberechtigte nicht länger als Objekt wohlfahrtsstaatlicher Fürsorge mit standardisierten Leistungen versorgt werden sollen, sondern mit individuell passenden Hilfen darin unterstützt werden, ein Leben nach eigenen Vorstellungen zu führen und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Sie sollen mehr Kontrolle über die Auswahl und Gestaltung der Unterstützungsleistungen erhalten.

 

Gesetzliche Grundlagen

Zielgruppe des Persönlichen Budgets sind alle Menschen mit Behinderung (gesetzliche Definition), die einen grundsätzlichen Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch IX haben. Eine Einschränkung des Personenkreises etwa im Hinblick auf Alter, Behinderungsart, Ausmaß der benötigten Unterstützung oder Wohnform gibt es gesetzgeberisch nicht.

Die rechtliche Kernvorschrift des Persönlichen Budgets findet sich im SGB IX: „Auf Antrag können Leistungen zur Teilhabe auch durch ein Persönliches Budget ausgeführt werden, um den Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen“ (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Seit 2008 sind die Leistungsträger gesetzlich verpflichtet, Leistungen zur Teilhabe auf Wunsch in Form eines Persönlichen Budgets zu erbringen.

Persönliche Budgets können im Einzelfall von nur einem oder von mehreren Leistungsträgern (z.B. Sozialhilfe, Rentenversicherung, Unfallversicherung) ausgeführt werden. Sind mehrere Leistungsträger beteiligt, soll das Persönliche Budget trägerübergreifend als Komplexleistung er­bracht werden. Ziel dieser Regelung ist, dass Menschen mit komplexen Unterstützungsbedarfen und Leistungsansprüchen gegenüber verschiedenen Leistungsträgern ein Gesamtbudget „wie aus einer Hand“ erhalten können. Beispiel: In das Ge­samtbudget einer Person fließen Leistungen der Sozialhilfeträger für wohnbezogene Hilfen, für Mobilität und Haushaltsführung ein, von der Krankenversicherung Gelder für Rehabilitationssport und von der Bundesagentur für Arbeit Gelder für Arbeitsassistenz.

Die wesentlichen Verfahrensschritte vom Antrag bis zur Ausführung eines Persönlichen Budgets (nach § 17 SGB IX und Budgetverordnung) sehen so aus (vgl. Wacker, Wansing & Schäfers 2009):

·        Der Leistungsberechtigte stellt einen Antrag auf Leistungen in Form eines Persönlichen Budgets bei einem Leistungsträger.

·        Der nach § 17 Abs. 4 SGB IX zuständige Leistungsträger (Beauftragter) klärt den Leistungsanspruch und prüft, ob noch weitere Leistungen anderer Leistungsträger in Frage kommen.

·        Die beteiligten Leistungsträger stellen den individuellen Bedarf auf der Grundlage der jeweiligen Leistungsgesetze fest.

·        In einem Bedarfsfeststellungsverfahren beraten die Leistungsträger und der Antragsteller (und ggf. eineVertrauensperson) über den Bedarf, budgetfähige Leistungen, Budgethöhe, den Beratungs- und Unterstützungsbedarf beim Umgang mit dem Persönlichen Budgetetc.

·        Als Ergebnis wird eine Zielvereinbarung zwischen dem Antragsteller und dem beauftragten Leistungsträger geschlossen.

·        Die beteiligten Leistungsträger stellen dem beauftragten Leistungsträger die Teilbudgets zur Verfügung.

·        Der beauftragte Leistungsträger zahlt das Gesamtbudget an den Leistungsberechtigten aus.

 

 

 

Erfahrungen

Umfangreiche Studien zeigen auf, dass das Persönliche Budget dazu beiträgt, die Selbstbestimmungsmöglichkeiten und Teilhabechancen der Budgetnehmer/innen zu erweitern (vgl. Metzler et al. 2007; Baumgartner et al. 2007; Kastl & Metzler 2005). Einzelfallbezogene Analysen verdeutlichen, dass das Persönliche Budget zu positiven, zum Teil beeindruckenden Veränderungen im Leben der Budgetnehmer/innen führt. Eine zentrale Rolle spielen hierbei die indivi­duell passenden Hilfen, die zeitlich und sozial flexibel gewählt und organisiert werden. Den Budgetnehmer/innen gelingt es in den selbst gewählten Unterstützungssettings, selbstständi­ger und nach eigenen Vorstellungen agieren zu können: in der eigenen Wohnung zu leben, selbst gewählte Freizeitaktivitäten zu erleben, soziale Kontakte zu pflegen, persönliche Ziele umzusetzen. Daneben initiiert oder stützt das Persönliche Budget per­sön­liche Empowermentprozesse, die zu steigendem Selbst­be­wusst­sein und einer wiedergewonnenen Kontrolle über das eigene Leben führen (vgl. Metzler et al. 2007; Wacker, Wansing & Schäfers2009).

Gleichzeitig zeigen sich Widerstände des traditionellen Systems mit einer erheblichen Wirkkraft, die gegen die konsequente Umsetzung und Verbreitung Persönlicher Budgets gerichtet ist (vgl. Schäfers 2009).Viele Leistungsträger tun sich schwer mit einem Systemwechsel, wie er mit dem Persönlichen Budget intendiert ist, und reagieren in einer grundsätzlichen Abwehrhaltung mit Strategien, um bei formaler Gewährung eines Persönlichen Budgets möglichst viel Sachleistungscharakter zu erhalten. Bezogen auf die Anbieter von Leistungen, die in vielen Fällen den Zugang zu Hilfen, die Bedarfsermittlung und Hilfeplanung wesentlich mitsteuern, ist es zweifelhaft, dass sie Menschen mit Behinderung proaktiv beraten, wenn sie durch das Persönliche Budget befürchten müssen, an Einfluss auf die Leistungsgestaltung zu verlieren.

Als Resultat bleibt die Nachfrage nach Persönlichen Budgets immer noch weit hinter den Erwartungen zurück. Laut einer Erhebung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (vgl. Prognos 2012) wurden 2010 rund 14.200 Budgets bewilligt. Von allen bewilligten Budgets sind knapp 1% trägerübergreifend. Bei vielen Teilhabeleistungen fristet das Persönliche Budget weiterhin ein Dasein als „Exot“.

 

 

 

Ausblick

Das Persönliche Budget ist ein innovatives Instrument zur Stärkung der Nutzerposition im Leistungsgeschehen und Ausdruck einer modernen Sichtweise auf Behinderung. Allerdings ist es in der konkreten Umsetzung mit funktionalen Problemen des Rehabilitationssystems konfrontiert: die Umsetzung personenbezogener Finanzierung, die Überwindung der Trennung von ambulant/stationär, die Koordination verschiedener Leistungen und Leistungsträger, die Gewährleistung einer den Einzelfall würdigenden Teilhabeplanung bei insgesamt steigenden Fallzahlen in der Eingliederungshilfe (vgl. Schäfers 2009).

Damit das Persönliche Budget allen behinderten Menschen als Leistungsform uneingeschränkt zur Verfügung steht, muss insbesondere die notwendige Unterstützung bei der Verwaltung und der Nutzung des Persönlichen Budgets (sog. „Budgetassistenz“) berücksichtigt werden. Dies ist vor allem deshalb ein Problem, da im SGB IX geregelt ist, dass das Persönliche Budget nicht teurer als die vergleichbare Sachleistung sein soll. Benötigt ein Mensch mit (geistiger) Behinderung budgetbezogene Unterstützung, muss er diese Hilfestellung aus dem Budgettopf selbst finanzieren. Notwendige Budgetassistenz darf aber nicht zu Lasten des Bedarfsdeckungsgrundsatzes gehen.

Vor diesem Hintergrund bleibt es also weiterhin offen, inwiefern das Persönliche Budget tatsächlich zu einem Richtungswechsel hin zu mehr Entscheidungsspielräumen bei der Auswahl von Leistungen und zu einer konsequent wirkungsorientierten Steuerung von Teilhabeleistungen führt.

 

Literatur:

Baumgartner, Edgar et al. (2007): Assistenzmodelle im internationa­len Vergleich. Leistungen und Massnahmen zur Unterstützung selbstbestimmten und ei­genverantwortlichen Lebens in ausgewählten Ländern. Beiträge zur sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 11/07. Bern: BSV.

Kastl, Jörg M. & Metzler, Heidrun (2005): Modellprojekt Persönliches Budget für Menschen mit Behinderung in Baden-Württemberg. Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung. http://www.sm.baden-wuerttemberg.de/sixcms/media.php/1442/SCHLUSSBERICHT-Internet.pdf (abgerufen am 13.02.13).

Metzler, Heidrun et al. (2007): Beglei­tung und Auswertung der Erprobung trägerübergreifender Persönlicher Budgets. Wissenschaftliche Begleitforschung zur Umsetzung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – Abschlussbericht, Juli 2007.http://www.budget.bmas.de/MarktplatzPB/DE/Service/Publikationen/publikationen_node.html (abgerufen am 13.02.13).

Prognos AG (2012): Umsetzung und Akzeptanz des Persönlichen Budgets. Endbericht (Entwurf). Unveröffentl. Manuskript.

Schäfers, Markus (2009): Wie man aus einem Persönlichen Budget eine verdeckte Sach­leistung macht. Eine provokative Anleitung. In: Teilhabe 48 (4), 25-27.

Wacker, Elisabeth; Wansing, Gudrun & Schäfers, Markus (2009): Personenbezogene Unterstützung und Lebensqualität. Teilhabe mit einem Persönlichen Budget. 2. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

 

 

Kontakt:

Dr. Markus Schäfers

markusschaefers@gmx.de


Februar 2013

 

Quellenverweis: http://www.inklusion-lexikon.de/PersoenlichesBudget_Schaefers.php