Benedikta Neuenhausen

Koedukation

Begriff: Koedukation stammt begrifflich von co (=zusammen) und educatio (=Erziehung, aufziehen) ab und bedeutet erst einmal gemeinschaftliche Erziehung ohne genauer anzugeben, wer gemeinschaftlich erzogen wird. Eingebürgert hat es sich mit Koedukation die gemeinschaftliche Erziehung von Jungen und Mädchen in der Schule zu bezeichnen.

Zu unterscheiden ist Koedukation von Ko-Instruktion, wie sie zumindest im Elementarbereich über weite Teile der Geschichte üblich war. Koedukation betont dabei ein Mehr an pädagogischem Nutzen, welches über reine Unterrichtsziele hinausgeht. Hierzu bedarf es eines pädagogischen Konzepts. Auf den Punkt bringt diese Unterscheidung Kreienbaum:  "Wenn man Jungen und Mädchen lediglich gemeinsam in ein Klassenzimmer bringt, bedeutet dies erst mal nur Koinstruktion. Koedukation verlangt darüber hinaus ein gemeinsames Unterrichtskonzept, das die Gemeinsamkeiten wie die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen fruchtbar macht." (Kreienbaum 1992, S. 23).

Trotz gestiegener Bildungsbeteiligung blieben die Berufs-, Studien- und Fächerwahl weitgehend geschlechtsspezifisch. Hier setzt das Konzept Reflexiver Koedukation an. Sie bedeutet, die schulischen Arrangements im Ganzen daraufhin in den Blick zu nehmen, ob sie bestehende Geschlechterverhältnisse stabilisieren oder eher einer kritische Veränderung fördern (vgl. Faulstich-Wieland, 1999, S. 133). Geschlechtertheorie und –forschung sind daher ebenso wie Bildungs- und Schultheorie immer Faktoren in der Diskussion der Koedukation. Sie ist inhaltlich eingebunden in ein Spannungsfeld von Bildungstheorie, Geschlechtertheorie, gesellschaftlichen Voraussetzungen und ideologischen Positionen wie institutionellen Bedingungen (vgl. Kraul, 1999, S. 21).

 

Geschichte: Als Beginn der Koedukationsdebatte wird die Frauenbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts angesehen. Gefordert wurde Teilhabe an Bildung im öffentlichen Schulwesen und Zugang zum Abitur für Mädchen. Dabei war die Frauenbewegung keineswegs einheitlich für Koedukation. Ab Mitte des 19.Jahrhundert gab es eine geschlechtersegregierte höhere Bildung mit unterschiedlichen Bildungsinhalten, die den Frauen den Zugang zur Universität und damit auch zu höheren beruflichen Positionen verwehrte, aber „das spezifisch weibliche“ förderte. Um auch Frauen das Abitur zu ermöglichen, wurde einerseits ein geschlechtergetrenntes Bildungssystem, das in gleicher Weise qualifizierend ist oder Koedukation diskutiert. Ersteres bleibt dabei der Differenz der Geschlechter verhaftet und wurde mit der Neuordnung des höheren weiblichen Schulwesens im Jahr 1908 etabliert. In der Weimarer Verfassung wurde dann die Gleichberechtigung der Geschlechter verankert und erneut die höhere Bildung der Frauen thematisiert, wobei auch hier auf institutioneller Ebene an der geschlechtergetrennten Variante festgehalten wurde.

Mit der Strukturreform des Bildungswesens Ende der 1960er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde die Koedukation in der Bundesrepublik Deutschland flächendeckend eingeführt und somit formal Chancengleichheit zwischen Mädchen und Jungen hergestellt. Im folgenden Jahrzehnt kristallisierte sich jedoch recht schnell heraus, dass Bildungschancen, Berufswahl, Berufseinmündung etc. weiterhin geschlechtsspezifische Differenzen erkennen ließen. Nach der ersten Phase der Koedukationseuphorie erfolgte recht schnell der Übergang in die nächste Phase der Koedukationskritik, die sich neben o.a. Punkten auf sexistische Schulbücher und  die patriarchale Struktur in Kollegien bezog (vgl. Kreienbaum, 2004, S. 583). Bereits parallel zu dieser Kritik entwickelte sich die Mädchenförderung, in dem spezifische Angebote für Mädchen an den Schulen entwickelt wurden, gefolgt, einige Jahre später, von der Jungenförderung. Heute wird davon ausgegangen, dass es keine quantitative Bildungsbenachteiligung von Frauen mehr gibt, sich aber qualitativ immer noch Ungleichheiten zeigen, die als ungünstig für Frauen angesehen werden können (vgl. Faulstich-Wieland, 1999, S. 127). Trotz steigernder Zahl von Abiturientinnen und Studierenden blieb die Fächer- und Studienwahl sowie die Berufswahl weitgehend traditionell. Die Ergebnisse der Koedukationsforschung verwiesen hier allerdings eher auf die geschlechtsspezifische Sozialisation in den  sozialen Herkunftskulturen als auf die Koedukation (vgl. Schlüter, 2004, S. 579).

 

Aktuell: Die Diskussion der Koedukation nach PISA zeigt zwei Schwerpunkte, zum einen die Lesekompetenz der Jungen und zum anderen die Leistungen der Mädchen in Naturwissenschaften und Mathematik. Insgesamt fallen die Schulleistungen der Jungen im Vergleich mit den Mädchen schlechter aus. Sie sind von Klassenwiederholungen stärker betroffen und ihr Anteil ist auf den geringer qualifizierenden Schulformen größer als der der Mädchen. Im Bereich Mathematik läßt sich allerdings ein Leistungsvorsprung der Jungen festmachen, der sich mit der Sekundarstufe verstärkt. Diese Situation hat zu einer erneuten Diskussion monoedukativen Unterrichts geführt. Dabei wird der phasenweise getrennte Unterricht nach Fächern favorisiert. Als wichtiger aber scheinen individualisierende Methoden für den alltäglichen Unterricht ergänzt von geschlechtshomogener Jungen- und Mädchenarbeit als einem Baustein geschlechtssensibler Pädagogik (vgl. Budde, 2008, S. 55).

In den Vordergrund gerückt ist auch die Rolle der LehrerInnen in der Rekonstruktion von Geschlechterstereotypen. Dabei wird sowohl die Geschlechterverteilung im Lehrerberuf nach Schultypen und Fächern thematisiert als auch die Konstruktion von Geschlecht in den LehrerInnen-SchülerInnen-Interaktionen. Eine Forderung nach PISA lautet daher auch, dass es genderkompetenter LehrerInnen bedarf, die mittels Weiter- und Fortbildung hier stärker qualifiziert werden müssen (vgl. Budde, 2008, S. 52). Auch in der aktuellen Koedukationsdebatte spielt die soziale Herkunft eine Rolle. Besonderes Augenmerk wird dabei auf Jugendliche mit Migrationshintergrund gelegt, da diese als Jungen quasi doppelt von Benachteiligung betroffen sind.

 

Literatur:

 

Budde, Jürgen (2008): Bildungs(miss)erfolge von Jungen und Berufswahlverhalten bei Jungen/männlichen Jugendlichen. Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berlin.

Faulstich-Wieland, Hannelore: Koedukation heute – Bilanz und Chance. In : Horstkemper, Marianne; Kraul, Margret (Hg. 1999): Koedukation. Erbe und Chancen. Weinheim, S. 124 – 135.

Kraul, Margret: Koedukation: Determinanten ihrer Geschichte. In: Horstkemper, Marianne; Kraul, Margret (Hg. 1999): Koedukation. Erbe und Chancen. Weinheim, S. 20 – 37.

Kreienbaum, Maria Anna (2004): Schule: Zur reflexiven Koedukation. In: Becker, Ruth; Kortendiek, Beate (Hg. 2004): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Wiesbaden, S. 582-589.

Schlüter, Anne (2004): Bildung: Hat Bildung ein Geschlecht? In: Becker, Ruth; Kortendiek, Beate (Hg. 2004): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Wiesbaden, S. 577-581.

 

Kontakt:

Dr. Benedikta Neuenhausen

benedikta.neuenhausen@onlinehome.de

11.09.2009

 

 

Quellenverweis:  http://www.inklusion-lexikon.de/Koedukation_Neuenhausen.php