Stefanie K. Sachse & Jens Boenisch

Kern- und Randvokabular in der Unterstützten Kommunikation

Kernvokabular bzw. core vocabulary bezeichnet die 200-300 am häufigsten gebrauchten Wörter einer Sprache (vgl. Clendon/Erickson 2008; Trembath et al. 2007; Zangari/van Tatenhove 2009). Diese wenigen und situationsunspezifischen Wörter (da, in, und, was, warum, hier, weg, noch mal, ja, nein, auch, möchten, wollen, können, haben…) machen ca. 80% der Alltagssprache aus.

Die Analyse gesprochener Sprache belegt, dass Kernvokabular nicht nur unabhängig vom Gesprächsthema, sondern auch unabhängig vom Alter einer Person verwendet wird und dass es auch nur geringe Unterschiede im Wortschatzgebrauch von Kindern mit und ohne Behinderungen gibt (vgl. Boenisch et al. 2007; Boenisch 2013). Zum Kernvokabular gehören vorrangig Funktionswörter, d.h. Artikel, Konjunktionen, Pronomen, Hilfsverben und Adverbien. Mit Kernvokabular kann man in vielen Situationen spontan mitreden, bestätigen, nachfragen. Doch auch wenn in konkreten Kontexten die Bedeutung von „Willst du auch?“, „Da kann ich aber nicht.“, „Hast du auch so eins?“ eindeutig ist, braucht man in vielen Situationen ein themenspezifisches Vokabular – das sog. Randvokabular –, um sich differenziert ausdrücken zu können. Das Randvokabular besteht vorrangig aus Inhaltswörtern bzw. Substantiven, Verben und Adjektiven (z.B. Ball, werfen, Pizza, Käse, schmecken, eklig).

In der Unterstützten Kommunikation wurde über viele Jahre der Schwerpunkt auf diese Inhaltswörter gelegt (vgl. Balandin/Iacono 1998). Auf den Kommunikationshilfen und in der Förderung wurden vorrangig Inhaltswörter verwendet, weil sie vermeintlich leichter darzustellen und zu lernen sind (vgl. Banajee et al. 2003; Hüning-Meier/Pivit 2003). In der Nutzung von Kommunikationshilfen mit diesen Wörtern wurde jedoch deutlich, dass diese so selten gebraucht werden, dass ein Einsatz kaum einen Ausgleich der kommunikativen Beeinträchtigung bedeutete. So belegen Daten einer bundesweiten Befragung von Boenisch (vgl. 2009, 131), dass nur 8% der Schüler/-innen ohne Lautsprache eine elektronische Kommunikationshilfe meistens oder immer nutzen (N=1.651).

Auch aus diesem Grund wurde von Boenisch/Sachse (2007) ein neues Konzept für die Nutzung von Kern- und Randvokabular auf Kommunikationsoberflächen entwickelt: Um Kindern mit unterschiedlichen Fähigkeiten adäquate Hilfen anbieten zu können, die der Bedeutung von Kernvokabular in der Alltagssprache gerecht werden, wurden die Kölner Kommunikationstafeln / Kölner Kommunikationsordner entwickelt. Diese Materialien ermöglichen die Kombination von Kern- und Randvokabular (s. Abb. 1) und sind in einer einheitlichen Struktur aufgebaut (Kernvokabular außen; Randvokabular auf den erweiterbaren Innenseiten; Personalpronomen links, Hilfsverben daneben etc., s. Abb.2). Dadurch können die Kinder ihren Wortschatz sukzessive ausbauen, ohne die Struktur der erweiterten Hilfen neu lernen zu müssen. Vielfältige Nutzer bzw. deren pädagogisch-therapeutische Bezugspersonen berichten von (z.T. völlig unerwarteten) Entwicklungssprüngen in der Sprachentwicklung (Semantik, Lexik, Syntax) einzelner Schüler mit Körperbehinderung und mit geistiger Behinderung, seitdem der Fokus stärker auf die Vermittlung von Kernvokabular gelegt worden ist. Das Konzept der Förderung von Kernvokabular ist auch übertragbar auf den Einsatz von Gebärden und den Einsatz von elektronischen Hilfen.

 

Abb. 1: Aufbau der Kölner Kommunikationsmaterialien

 

Abb. 2: Ausschnitt aus dem Kölner Kommunikationsordner

(© Boenisch/Sachse; Symbole © Metacom)

 

Literatur:

Balandin, S./Iacono, T. (1998): A few well-chosen words. In: Augmentative and Alternative Communication, 14.

Banajee, M./DiCarlo, C./Buras-Stricklin, S. (2003): Core Vocabulary Determination for Toddlers. In:  Augmentative and Alternative Communication, 2.

Boenisch, J. (2009): Kinder ohne Lautsprache. Karlsruhe.

Boenisch, J. (2013): Neue Ergebnisse aus der Kernvokabularforschung – Bedeutung und Relevanz für Förderung und Therapie in der UK-Praxis. In: Hallbauer, A./Hallbauer, T./Hüning-Meier, M. (Hrsg.): UK kreativ! Wege in der Unterstützten Kommunikation. Karlsruhe.

Boenisch, J./Sachse, St. (2007): Sprachförderung von Anfang an: Zum Einsatz von Kern- und Randvokabular in der frühen Förderung. In: Unterstützte Kommunikation, 3.

Boenisch, J./Musketa, B./Sachse, St. (2007): Die Bedeutung des Vokabulars für den Spracherwerb und Konsequenzen für die Gestaltung von Kommunikationsoberflächen. In: Sachse, St./ Birngruber, C./Arendes, S. (Hrsg.): Lernen und Lehren im Kontext der Unterstützten Kommunikation. Karlsruhe.

Clendon, S./Erickson, K. (2008): The Vocabulary of Beginning Writers. Implications for Children with Complex Communication Needs. In: Augmentative and Alternative Communication, 4, pp. 281-293.

Hüning-Meier, M./Pivit, C. (2003): Nichtelektronische Kommunikationshilfen – Eine Übersicht. In: von Loeper/ISAAC (Hrsg.): Handbuch der Unterstützten Kommunikation. Karlsruhe.

Trembath, D./Balandin, S./Togher, L. (2007): Vocabulary Selection for Australian Children who Use Augmentative and Alternative Communication. In: Journal of Intellectual and Developmental Disability, 4.

Zangari, C./van Tatenhove, G. (2009): Supporting More Advanced Linguistic Communicators in the Classroom. In: Soto, G./Zangari, C. (Eds.): Practically Speaking. Language, Literacy and Academic Development for Students with AAC Needs. Baltimore.

 

Kontakt:

Stefanie K. Sachse (stefanie.sachse@uni-koeln.de)

Prof. Dr. Jens Boenisch (jens.boenisch@uni-koeln.de)

Universität zu Köln

März 2013

 

Quellenverweis:

http://www.inklusion-lexikon.de/KernundRandvokabular_SachseBoenisch.php