Miriam Sonntag

Jahrgangsübergreifendes Lernen

Lernen verschiedene Schülerjahrgänge in einer Lerngruppe zusammen, wird dies als jahrgangsübergreifendes Lernen bezeichnet.[1] Diese Organisationsform schulischen Lernens hebt das Alter als Zuweisungskriterium zu Lerngruppen auf (vgl. Rogalla & Mönks 2013, 5). Es findet eine bewusste Abgrenzung zur Altershomogenität statt, d.h. zu dem traditionellen Unterricht in Jahrgangsklassen, wie er bereits bei Comenius im 17. Jahrhundert angedacht wurde und bis in die Gegenwart hinein das bestimmende Kennzeichen unseres Schulsystems darstellt (vgl. Hinz 2009, 133). Wesentlicher Kritikpunkt am Lernen in Jahrgangsklassen ist die unterstellte Homogenität sowie Effektivität in Bezug auf Lernen in jenen. Ludwig beschreibt in diesem Zusammenhang einen Paradigmenwechsel "von Homogenität zu Heterogenität als dominierender Leitvorstellung für die Bildung von Lerngruppen" (Ludwig 2012, 10). Jahrgangsübergreifende Konzepte revidieren die Annahme, dass Kinder eines Alters über gleiche Fähigkeiten und Kompetenzen verfügen und rücken das Individuum mit seiner Lernbiografie in den Mittelpunkt (vgl. Hinz 2009, 133). "Entwicklungsorientiertes Lernen, das die individuellen Lernvoraussetzungen der einzelnen Kinder berücksichtigt" (Rogalla & Mönks 2012, 7), soll durch eine jahrgangsübergreifende Zusammensetzung der Lerngruppen besser ermöglicht und berücksichtigt werden. In Grundschulen findet jahrgangsübergreifendes Lernen in den vergangenen Jahren zunehmend seine Verbreitung, allerdings mit sehr unterschiedlicher regionaler Ausprägung (vgl. Carle & Lassek 2013, 5-6): Berlin, Sachsen-Anhalt und Bremen liegen deutlich über dem deutschen Mittelwert (zwischen 40-65% Anteil an staatlichen Grundschulen mit jahrgangsübergreifendem Lernen in der Schuleingangsphase), dagegen lassen sich nur selten Schulen mit jahrgangsübergreifendem Unterricht in Sachsen, Rheinland-Pfalz oder Mecklenburg-Vorpommern finden (0-1%) (vgl. ebd. 2013, 5). Den größten Anteil an jahrgangsübergreifenden Modellen haben dabei Schulen mit der sogenannten Schuleingangsphase (d.h. gemeinsames Lernen der Klasse 1/2). Sie dominieren mit knapp 60% (vgl. ebd. 2013, 7). Andere Modelle nehmen dabei nur einen nachgeordneten Platz ein.  

 

 

Organisationsmodelle und pädagogisch konzeptionelle Gestaltung

Auch wenn jahrgangsübergreifendes Lernen bislang im allgemeinen Schulwesen nicht fest verankert ist, werden Ansätze dafür vielfältig diskutiert: im reformpädagogischen Kontext, im Zusammenhang verschiedener Versuchs- und Modellschulen und zusätzlich vor dem Hintergrund einer flächendeckenden Umsetzung als Konzept für die Gestaltung der flexiblen Schuleingangsphase.

Jahrgangsübergreifendes Lernen im Grundschulbereich wird sehr unterschiedlich organisiert. Die häufigsten Organisationsmodelle in der sogenannten Eingangsstufe sind die Zusammenlegung von Kita/Vorschulklasse und Jahrgänge 1/2  oder Jahrgänge 1/2 mit jährlichem Zuwachs von etwa 15 Kindern (und anschließender Bildung von Jahrgangsklassen ab Jahrgangsstufe 3). Als vollständige Jahrgangsmischung wird häufig die Zusammenlegung aller Jahrgänge 1-4 bezeichnet (jährlich kommen ca. 7 Kinder neu hinzu und 7 verlassen die Lerngruppe). Zweistufenmodelle bezeichnen die Zusammenlegung der Jahrgänge 1/2 sowie 3/4, der Jahrgänge 1-3 und 4 jahrgangshomogen oder der Jahrgänge 1-3 und 4-6 (vgl. Carle & Lassek 2013, 7 & Christiani 2005, 21). Obwohl bislang weitaus weniger häufig anzutreffen, wird auch in der Sekundarstufe jahrgangsübergreifend gelernt.[2] Dabei sind ebenfalls verschiedene Organisationsformen vorzufinden: bspw. lernen in der Laborschule Bielefeld, die eine langjährige Tradition jahrgangsübergreifenden Lernens aufweist, die Jahrgänge 5-7 und 8-10 gemeinsam, in der Reformschule Kassel die Jahrgänge 6-8 und 9/10.

In reformpädagogischen Konzepten wie bei Peter Petersen oder Maria Montessori ist jahrgangsübergreifendes Lernen bereits Anfang des 20. Jahrhunderts zu finden. Der Grundgedanke war auch damals schon, dass die Unterrichtsgestaltung der individuellen Entwicklung von Kindern folgen muss. Montessori argumentierte vorrangig mit dem anregenden Umfeld einer jahrgangsübergreifenden Lerngruppe, das zu weniger Konkurrenzdenken führe. Eine jahrgangsübergreifende Lerngruppe gehöre neben den speziellen Lernmaterialien, die auf selbsttätiges Handeln ausgerichtet sind, zur sogenannten vorbereiteten Umgebung. In jener ist die zentrale Arbeitsform die der Freiarbeit, d.h. die Kinder bestimmen hier selbst aus "einem differenzierten Lernangebot den Gegenstand ihrer Tätigkeit, die Ziele, die Sozialform sowie die Zeit, die sie auf den gewählten Aufgabenbereich verwenden wollen" (Ludwig 2012, 15). Sie verwies zudem auf die größere sprachliche Nähe unter Kindern, welches Lernen erleichtere. Bei Montessori werden immer Kinder dreier Jahrgänge zusammengefasst, wobei das Prinzip der "freien Zirkulation" einen flexiblen Umgang ermöglicht, so dass die Kinder auch an Lerninhalten anderer Jahrgänge teilhaben können (vgl. Ludwig 2012,15).[3]      

Gegenwärtig lassen sich eine Vielzahl jahrgangsgemischter Klassen an deutschen Versuchsschulen wie folgt charakterisieren. Grundsätzlich sind die Schulen stark an reformpädagogischen Traditionen orientiert, mit einem entsprechenden Repertoire an Unterrichtsformen: Binnendifferenzierung, Projektunterricht, Gruppenarbeiten, Klassenrat usw. und gestalten den schulischen Alltag entlang zweier Linien: Individualisierung einerseits und Gemeinschaftsbildung andererseits. Grundsätzlich wird das jahrgangsübergreifende Prinzip nicht dogmatisch umgesetzt, sondern es findet zu unterschiedlichen Anteilen Unterricht in jahrgangshomogenen und jahrgangsübergreifenden Gruppen statt. Ebenso vielfältig sind die Methoden und sozialen Gruppierungen, die zum Einsatz kommen (vgl. Wilhelm 2009, 70-71). Christiani stellt die zentralen Elemente der Unterrichtsorganisation (u.a. Team-Arbeit, Lernumgebung, Rituale, Differenzierungskonzepte, Planung von Unterricht) zusammenfassend vor (vgl. Christiani 2005).[4]

Von diesen Ansätzen sind die weiter verbreiteten und in den einzelnen Bundesländern zum Teil auch fest verankerten Modelle der flexiblen Schuleingangsphase zu unterscheiden. In jenen werden „alle schulpflichtigen Kinder eines Jahrgangs (…) ohne Feststellung der Schulfähigkeit in die Schule aufgenommen und in alters- und entwicklungsgemischten Gruppen unterrichtet. Die Schülerinnen und Schüler haben die Möglichkeit, entsprechend ihrem individuellen Lern- und Leistungsvermögen die zusammengefassten Jahrgangsstufen 1 und 2 auch in einem Schuljahr oder in drei Schuljahren zu durchlaufen“ (Kultusministerium Hessen 2013), wobei das dritte Jahr nicht auf die Gesamtdauer der Schulbesuchszeit angerechnet wird.

Die Wiener Reformpädagogischen Mehrstufenklassen existieren seit Ende der 90er Jahre als Schulversuch in Wiener Volksschulen und werden umfangreich wissenschaftlich begleitet. Individualisierung und Differenzierung nach "Interesse, Tempo, individuellem Lernstand, Thema sowie Fähigkeiten der einzelnen SchülerInnen" (Girg 2012, 31) bilden hier die Grundlage für die pädagogische Arbeit.  

In der Schweiz wird u.a. das Konzept des "Altersdurchmischten Lernens" (AdL) diskutiert (vgl. Achermann 2011). Methodisch wird auch hier auf reformpädagogische Elemente zurückgegriffen und das Demokratische Lernen wird als ein unverzichtbares grundlegendes Element angesehen. Konzeptionell beschreibt Achermann den Ansatz als Verbindung zwischen dem "Sozial-Ansatz" und dem "Individualisierungs-Ansatz" (vgl. Achermann 2011, 42-47). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass jahrgangsgemischtes Lernen zu weiten Teilen auf reformpädagogische Traditionen zurückgreift und jene entlang gegenwärtiger struktureller Bedingungen weiterentwickelt bzw. in veränderter Form umsetzt. Bei der Umsetzung lassen sich zudem vielfältige Zusammenlegungsformen der einzelnen Jahrgangsstufen finden, wobei das Modell der Schuleingangsphase in Deutschland zurzeit am stärksten ausgeprägt ist.

 

Diskussion zum jahrgangsübergreifenden Lernen

Es sprechen eine Vielzahl von Argumenten für die Auflösung von Jahrgangsklassen: Die Fragen danach, wie Unterricht individuellen Bedürfnissen gerecht werden kann und danach, wie Differenz oder Vielfalt nicht mehr als Belastung, sondern als Gewinn strukturiert und organisiert sein muss, gewinnen zunehmend an Bedeutung - insbesondere vor dem Hintergrund inklusiver Schulentwicklungen. Forschungsbefunde wie bei Löser/Werning (vgl. Löser & Werning 2013, 23) zusammengestellt, weisen daraufhin, dass das Lernen in homogenen Lerngruppen keinesfalls positive Auswirkungen auf die Leistungsentwicklung nimmt. In vermeintlichen Jahrgangsklassen finden sich zudem erfahrungsgemäß Kinder aus mindestens drei unterschiedlichen Jahrgängen und die Entwicklungsspannen in einer Jahrgangsstufe können bis zu vier Jahre auseinandergehen (vgl. Achermann 2011, 23). Rogalla und Mönks verweisen neben der eben dargestellten interpersonalen zusätzlich die intrapersonale Heterogenität, die sich "auf die Unterschiede zwischen den Stärken und Schwächen im Entwicklungsprofil eines Individuums" zeigt und "Unterschiede zwischen den einzelnen Fähigkeitsbereichen" bis zu 6-10 Jahren betragen können (Rogalla & Mönks 2012, 5). „Hinzu kommen Unterschiede bezüglich des Geschlechts, der kulturellen Herkunft, des sozialen Status der Familie, der Religionszugehörigkeit, des Begabungsspektrums usw.“ (Achermann 2011, 23). Dies bedeutet, dass es zunehmend schwieriger erscheint, die vielfältigen Bedürfnisse, Lebens- und Erfahrungswelten der Kinder einer Jahrgangsklasse zu berücksichtigen und dass die Jahrgangsklasse eine pädagogisch zunehmend schwieriger zu begründende Maßnahme darstellt. Für das Lernen in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen spricht ebenfalls, dass „in herkömmlich geführten Klassen (…) Kinder mit größeren Lernproblemen oft eine Klasse wiederholen und (…) dadurch Stigmatisierung, Demütigung und Demotivation (erfahren). In der Mehrstufenklasse verbleiben auch leistungsschwache Kinder in der gewohnten Gruppe, beim gewohnten LehrerInnenteam und werden individuell gefördert (...)" (Wiener Reformpädagogische Mehrstufenklassen, 2013). Die Altersheterogenität innerhalb einer Lerngruppe bietet nach van der Linde/Schagerl zudem auch die folgenden Vorteile: „Regeln und Rituale sowie Arbeits- und Lerntechniken werden durch Modelllernen weitergegeben; Die jahrgangsklassenhöheren Schüler erkennen an den neu Hinzukommenden die eigenen Lern- und Wissensvorsprünge, was zur Entstehung eines positiven Selbstwertgefühls beiträgt. (...) Leistungsschwache Schüler erweisen sich häufig als einfühlsame, verständnisvolle Helfer. Rollen / Positionen (sowohl soziale als auch leistungsmäßige) werden nicht dauerhaft zementiert. (...) Der Altersunterschied sorgt für Lernanreize und initiiert neue Lernmotivation. (...) Schüler können wiederholt bestimmten Inhalten begegnen bzw. jüngeren Schülern Inhalte vermitteln und so wiederholend Inhalte verstehen und vertiefen. (...)..“ (van der Linde & Schagerl 2007, 17). Neben dem demographischen Wandel und dem damit einhergehenden Geburtenrückgang wird zunehmend auch stärker nach sozialen Kompetenzen Heranwachsender gefragt (vgl. Wilhelm 2009, 66). Jahrgangsbergreifendes Lernen findet seit wenigen Jahren auch seine Aufmerksamkeit im Kontext von besonderen Begabungen. In jahrgangsübergreifenden Lerngruppen werden „besonders leistungsfähige Kinder (...) nicht unterfordert, langweilen sich nicht und werden nicht demotiviert. Sie können mit älteren Kindern mitarbeiten und bleiben in der Gruppe integriert. Die Förderung hochbegabter Kinder wird innerhalb einer altersgemischten Gruppe sehr erleichtert.“ (Wiener Reformpädagogische Mehrstufenklassen, 2013). Ludwig weist hier darauf hin, dass jahrgangsübergreifendes Lernen "für eine angemessene Förderung individueller Begabungen besondere Chancen enthält, allerdings nur wenn sie mit einem entsprechenden pädagogischen Konzept verbunden werden (...)" (Ludwig 2012, 19). Ludwig verdeutlicht einerseits das Potential dieser Organisationsform von Schule und Unterricht, weil grundsätzlich die Möglichkeiten bestehen, dass alle Kinder individuell in ihrem Lern- und Entwicklungsprozess individuell unterstützt und begleitet werden können. Andererseits weist er auch darauf hin, dass jahrgangsübergreifendes Lernen auch in einen sorgfältig reflektierten und umfassenden pädagogischen Kontext eingebettet sein muss, damit es sich nicht nachteilig auswirken kann. Kritische Äußerungen bezüglich jahrgangsübergreifenden Lernens beziehen sich auch auf die veränderten Anforderungen an die Lehrpersonen wie bspw. bei Dockhorn et al. dargestellt: „Jahrgangsheterogenes Lernen erfordert ein kaum zu bewältigendes Ausmaß an Differenzierung und Individualisierung und damit einen übermäßigen Arbeitsaufwand; es zerstört den Klassenzusammenhalt und wirkt sich möglicherweise negativ auf das Leistungsklima aus“ (Dockhorn et al. 2004, 58-59). Ein weiterer Diskussionspunkt bei der konkreten Ausgestaltung jahrgangsübergreifenden Lernens betrifft die Anteile an Unterricht in jahrgangshomogenen und jahrgangsübergreifenden Gruppen. Dockhorn et al. konstatieren: "Die Schulen setzen Jahrgangsmischung nicht prinzipiell für alle Fächer und Jahrgangsstufen durch, sondern verbinden Formen des jahrgangsheterogenen mit Formen des jahrgangshomogenen Lernens“ (Dockhorn et al. 2004, 61), d.h. zu unterschiedlichen Anteilen findet im Schulalltag neben dem jahrgangsübergreifenden Unterricht auch Unterricht in den traditionellen Jahrgangsgruppen statt. Stähling argumentiert für einen möglichst hohen Anteil an Unterricht in der Klassengemeinschaft bzw. in den jahrgangsübergreifenden Lerngruppen, um stabile Strukturen und verlässliche Bindungen gewährleisten zu können, welche in Kursen oder in kleinen jahrgangshomogenen Gruppen verloren gehen (vgl. Stähling 2006, 123). Ebenfalls werden Arbeitsvorhaben und wichtige Gruppenprozesse in einem konstanten Zusammenhalt weder durch Gruppen-, Lehrer- oder Raumwechsel gestört.

 

Forschungsbefunde zum jahrgangsübergreifenden Lernen

Forschungsansätze befassen sich überwiegend mit der Frage, ob Kinder in einer Jahrgangsklasse oder in einer Jahrgangsübergreifenden Klasse mehr lernen. Die Befunde sind dabei immer vor dem Hintergrund zu bewerten, dass die konzeptionelle und folglich auch didaktische und unterrichtsorganisatorische Ausgestaltung jahrgangsübergreifender Lerngruppen sehr unterschiedlich seine Umsetzung finden. Zudem wirken eine Vielzahl von Faktoren auf die Unterrichtsqualität: u.a. das Lehrerverhalten, die Schülerorientierung, die Binnendifferenzierung oder die Öffnung des Unterrichts.

Im deutschsprachigen Raum gibt es eine Vielzahl von Schulen, die seit einigen Jahren erfolgreich in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen lernen.[5] Sowohl externe Schulevaluationen als auch Ergebnisse von internationalen Vergleichsstudien belegen erfolgreiches Lernen von Schülern in diesen Schulen. Achermann fasst die zentralen Forschungsergebnisse wie folgt zusammen: „Im Leistungsbereich zeigen sich insgesamt keine Unterschiede zwischen Kindern aus Jahrgangs- oder Mehrklassen. Beim sozialen Lernen und im Bereich der Motivation schneiden die Kinder aus Mehrklassen leicht besser ab.“ (Achermann 2011, 35). Grittner, Hartinger und Rehle verweisen auf den Befund ihrer Studie, in der nicht alle Kinder gleich vom jahrgangsübergreifenden Lernen profitieren: "Bei den mathematischen Leistungen sind es eher die Kinder, die bereits mit viel Vorwissen in die Grundschule kommen, beim Lesen die Kinder, die weniger Vorkenntnisse haben.“ (Grittner et al. 2013, 110). Auch Wilhelm verweist auf die positiven Befunde zur Forschung von jahrgangsübergreifenden Klassen: die Kinder haben ein höheres Selbstbewusstsein und weisen eine höhere Motivation auf. Vor allem seien es die leistungsschwachen Kinder, die ihre Potentiale eher entfalten können (Wilhelm 2009, 69).

Hascher und Ellinger widmen sich in ihrer Untersuchung in jahrgangsübergreifenden Grundschulen in Salzburg spezifischen Spanungsfeldern für die in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen arbeitenden Lehrpersonen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Haltung der Lehrkräfte, d.h. eine positiv bejahende Grundeinstellung zur jahrgangsübergreifenden Unterrichtsgestaltung, als Grundlage für eine gelingende Umsetzung unabdingbar ist (Hascher/Ellinger 2012, 110). Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass Lernen in jahrgangsübergreifenden Gruppen zwar eine sehr günstige Bedingung für inklusives Lernen darstellt, hier aber an den bei Hascher/Ellinger angedeuteten Forschungsdesiderata angesetzt werden muss, um gesicherte Hinweise auf  Qualitätskriterien für jahrgangsübergreifenden (inklusives) Lernens zu erhalten.

 

Jahrgangsübergreifendes Lernen und Inklusion

Werden die zentralen Ziele inklusiven Unterrichts zugrundegelegt, liegt eine jahrgangsübergreifende Gestaltung von Schule nahe (vgl. Veber 2013, 67-68): Verschiedene Autoren sehen gerade in jahrgangsübergreifenden Schulmodellen die Chance, eine inklusive Schule umzusetzen (vgl. Achermann 2011, Sonntag 2012, Stähling 2006, Wilhelm 2009). Durch die Altersheterogenität wird der Weg weg von traditionellen Lernwegen hin zu einem individualisierten Blick auf die Kinder unterstützt. Auch vor dem Hintergrund, dichotome Sichtweisen bzw. die sonderpädagogisch geprägte Zwei-Gruppentheorie aufzuheben (vgl. Hinz 2002), erscheint eine jahrgangsübergreifende Schul- und Unterrichtsorganisation von Vorteil, da der defizitäre Blick und Fokus auf Kinder wegfällt. Vielfältig weitere Dimensionen werden mitgedacht, ebenso auch im Begabungskontext (vgl. Girg 2012). Nicht nur die darin tätigen Personen verändern ihren Blick auf die Vielfalt der Gruppe, auch die Kinder innerhalb dieser Lerngruppen werden toleranter, hilfsbereiter und lernen Inklusion zu leben. „Jahrgangsübergreifender Unterricht gibt festgelegte Alters-, Jahrgangs-, Entwicklungs- und Leistungsnormen auf. Ein differenzierender, individualisierender und handlungsorientierter Unterricht wie er in altersheterogenen Lerngruppen ohnehin erforderlich ist, stellt für Inklusion die günstigsten Voraussetzungen dar“ (vgl. Wilhelm 2009, 68 zit. n. Demmer-Diekmann 2011). In einer Schule mit jahrgangsübergreifendem Unterricht wird es selbstverständlich, dass jeder etwas anderes arbeitet und der direkte Vergleich von Leistungen und damit auch direkte Konkurrenz fällt weg. Kurzum: Jeder wird anerkannt, so wie er ist – und dies ist wiederum Kern einer inklusiven Pädagogik – die anerkennende Wertschätzung innerhalb einer heterogenen Lerngruppe.

 

Literatur

Achermann, Edwin; Gehrig, Heidi (2012): Altersdurchmischtes Lernen. Auf dem Weg zur Individualisierenden Gemeinschaftsschule. Primarstufe. Bern: Schulverlag, 2. Auflage.

Bohl, Thorsten; Diemut (2010): Offener Unterricht heute. Konzeptionelle und didaktische Weiterentwicklung. Weinheim und Basel: Beltz.

Bräu, Karin; Schwerdt, Ulrich (2005)(Hrsg.): Heterogenität als Chance. Vom produktiven Umgang mit Gleichheit und Differenz in der Schule. Münster: LIT Verlag.

Carle, Ursula; Lassek, Maresi (2013): Jahrgangsübergreifendes Lernen JüL. Folien zum Vortrag auf dem Grundschulforum Bremen am 30. Mai 2013 der Akademie des Deutschen Schulpreises. URL am 01.08.2013: http://www.grundschulpaedagogik.uni-bremen.de/archiv/Carle/2013/Carle+Lassek20130530JueL_Forschung+Praxis%28HB%29.pdf

Christiani, Reinhold (Hrsg.)(2005): Jahrgangsübergreifend unterrichten. Berlin: Cornelsen Skriptor.

De Boer, Heike; Burk, Karlheinz; Heinzel, Friederike (Hrsg.)(2007): Lehren und Lernen in jahrgangsgemischten Klassen. Frankfurt: Grundschulverband.

Dockhorn, Doris; Eickmanns-Rote, Katharina; Godejohann, Stephan; Lenzen, Klaus-Dieter (2004): Altersmischung. Lernen in jahrgangsheterogenen Gruppen. In: Becker, Gerold; Lenzen Klaus-Dieter; Stäudel, Lutz; Tillmann, Klaus-Jürgen; Werning, Rolf; Winter, Felix (Hrsg.): Friedrich Jahresheft XXII 2004 „Heterogenität – Unterschiede nutzen – Gemeinsamkeiten stärken“, 58-61.

Girg, Uursula. (2012): Mehrstufenklassen: Eine Möglichkeit zur Individualisierung der Schullaufbahn. In: Journal für Begabtenförderung. Für eine begabungsfreundliche Lernkultur, 2/2012, 34-46.

Grittner Frauke; Hartinger, Andreas;  Rehle, Cornelia (2013): Wer profitiert beim jahrgangsgemischten Lernen? In: Zeitschrift für Grundschulforschung. Bildung im Elementar- und Primarbereich 1/2013, 102-113.

Hascher Tina; Ellinger, Bettina (2012): Jahrgangsgemischter Unterricht. Balancieren zwischen Spannungsfeldern aus der Sicht von Lehrpersonen. In: Nerowski, Christina; Hascher, Tina; Lunkenbein, Martin; Sauer, Daniela (Hrsg.): Professionalität im Umgang mit Spannungsfeldern der Pädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Hinz, Andreas (2002): Von der Integration zur Inklusion – terminologisches Spiel oder konzeptionelle Weiterentwicklung? In: Zeitschrift für Heilpädagogik, 02/2002, 354-361.

Hinz, Renate (2009): Altersgemischtes Lernen. In: Hinz, Renate; Walthes, Renate (Hrsg.):Heterogenität in der Grundschule. Den pädagogischen Alltag erfolgreich bewältigen. Weinheim und Basel: Beltz, 133-142.

Kucharz, Diemut; Wagener, Matthea (2009): Jahrgangsübergreifendes Lernen. Eine empirische Studie zu Lernen, Leistung und Interaktion von Kindern in der Schuleingangsphase. Hohengehren: Schneider, 3. Auflage.

Kultusministerium Hessen (2013): Primarstufe Grundschule. URL am 03.08.2013: https://kultusministerium.hessen.de/schule/schulformen/grundschule-0

Laging, Ralf (Hrsg.)(2007): Altersgemischtes Lernen in der Schule. Hohengehren: Schneider.

Löser, Jessica M.; Werning, Rolf (2013): Inklusion aus internationaler Perspektive - ein Forschungsüberblick. In: Zeitschrift für Grundschulforschung. Bildung im Elementar- und Primarbereich 1/2013, 21-33.

Ludwig, Harald (2012): Altersgemischtes Lernen in der Reformpädagogik. In: Journal für Begabtenförderung. Für eine begabungsfreundliche Lernkultur, 2/2012, 9-21.

Ludwig, Harald (Hrsg.)(2003): Erziehen mit Maria Montessori. Freiburg, 5. Auflage.

Marsolek, Therese (2003): Empirische Studien zum jahrgangsübergreifenden Unterricht. In: Heyer Peter, Sack Lothar, Preuss-Lausitz (Hrsg.): Länger gemeinsam lernen. Frankfurt am Main: Grundschulverband, 67-74.

Oswald, Friedrich (2012): Altersunabhängiges individualisiertes Lernen. Kritik der ungeeigneten Bezeichnung „altersgemischtes Lernen“. In: Journal für Begabtenförderung. Für eine begabungsfreundliche Lernkultur, 2/2012, 80-83.

Rogalla, Marion; Mönks, Franz J. (2012): Altersgemischtes Lernen. In: Journal für Begabtenförderung. Für eine begabungsfreundliche Lernkultur, 2/2012, 4-8.

Sonntag, Miriam (2012): Jahrgangsübergreifender und inklusiver Unterricht in der Praxis. Inklusion-Online 1/2012 URL am 26.07.2013: http://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion/article/view/153/145

Stähling, Reinhard (2006): „Du gehörst zu uns“ Inklusive Grundschule. Ein Praxisbuch für den Umbau der Schule. Hohengehren: Schneider.

Stähling, Reinhard (2012): „Das können wir hier nicht leisten“ wie Grundschulen doch die Inklusion schaffen können. Ein Praxisbuch zum Umbau des Unterrichts. Hohengehren: Schneider.

Van der Linde, Elke; Schagerl, Ursula (2007): Kursbuch jahrgangsübergreifender Unterricht. Oldenbourg: Schulbuchverlag.

Veber, Marcel (2013): Studentische Professionalisierung in Inklusion für Inklusion – Anregungen aus der ersten Phase der Lehrerbildung. In: Seminar – Lehrerbildung und Schule 1/2013, 19.Jg. 66-78.

Wiener Reformpädagogische Mehrstufenklassen (2013): Flyer. URL am 28.07.2013: http://www.schulentwicklung.at/joomla/content/view/67/30/.

Wilhelm, Marianne (2007): Projektbericht: Inklusiv geführte Mehrstufenklasse an der Übungshauptschule der Pädagogischen Akademie des Bundes in Wien 2005-2007. Wien.

Wilhelm, Marianne (2009): Integration in der Sek. I und II. Wie die Umsetzung im Fachunterricht gelingt. Weinheim und Basel: Beltz.


Kontakt
Miriam Sonntag
Email: info@miriamsonntag.net
Web:   www.miriamsonntag.net

Quellenverweis:http://www.inklusion-lexikon.de/JahrgangsuebergreifendesLernen_Sonntag.php

 



[1] Synonym zum Begriff des jahrgangsübergreifenden Lernens, wie er im vorliegenden Text durchgehend verwendet wird, werden im deutschsprachigen Raum auch die Folgenden verwendet: altersgemischtes, altersheterogenes, altersdurchmischtes, klassenübergreifendes Lernen oder auch Mehrstufenklassen wie bspw. in Wien. Oswald diskutiert verschiedene terminologische Ansätze. (vgl. Oswald 2012, 83).

[2] Der Anteil an jahrgangsübergreifendem Lernen in der Sekundarstufe liegt bei unter 10% (vgl. Carle & Lassek 2013, 7).  

[3] Das pädagogische Werk von Maria Montessori kann hier nur kurz skizziert werden. Für weitere Ausführungen vgl. Ludwig (2003).

[4] Zur pädagogisch und konzeptionellen Umsetzung vgl. auch Sonntag 2012 & Stähling 2012.

[5] Vgl. Berg-Fidel Münster, Laborschule Bielefeld, Reformpädagogische Mehrstufenklassen in Wien, Sophie-Scholl-Schule Gießen, Reformschule Kassel, AdL-Schulen Schweiz, Peter-Petersen-Schule am Rosenmaar Köln, Montessori-Grundschule Borken.