Katrin Huxel

Interkulturell

Der Begriff wird als Beifügung in verschiedenen Begriffen und Konzepten gebraucht, etwa „Interkulturelle Pädagogik“, „Interkulturelle Kompetenz“, „Interkulturelle Kommunikation“. Grundsätzlich bezieht er sich auf kulturelle Differenz und den Umgang mit dieser. Meist ist in diesem  Zusammenhang migrationsbedingte Differenz oder die Differenz von National- oder Regionalkulturen gemeint. Dies verweist bereits auf einen mit dem Begriff interkulturell assoziierten, engen Kulturbegriff, der auch ursächlich für Kritik am Begriff interkulturell ist.

Es ist zu unterscheiden zwischen einer Verwendungsweise des Attributs interkulturell in wissenschaftlichen Diskursen, hier vor allem in der Erziehungswissenschaft und der Psychologie, im Alltagsdiskurs und im Wirtschafts- und Managementbereich. Im Folgenden wird nach einer kurzen Darstellung alltagstheoretischer Verwendungsweisen vor allem auf die inhaltliche Bestimmung des Begriffs aus Perspektive der Fachrichtung der Interkulturellen Erziehungswissenschaft eingegangen.

Im Alltagsdiskurs tritt interkulturell in den 1990er – 2000er Jahren an die Stelle des Begriffs  ‚multikulturell‘. Letzterer wird zunehmend abwertend gebraucht, um ein bestimmtes, angeblich kritikloses und unreflektiertes ‚Miteinander verschiedener Kulturen‘ zu beschreiben[1]. Beide Begriffe werden im Alltagsdiskurs, aber auch in bildungspolitischen und praxisorientierten pädagogischen Diskursen jedoch nicht trennscharf gebraucht und auch interkulturell wird wenig spezifisch verwendet, um Differenz in der Migrationsgesellschaft zu beschreiben (vgl. Gogolin & Krüger-Potratz 2010; Kalpaka & Mecheril 2010).

Im Bereich Wirtschaft und Management, aber auch in der pädagogischen Praxis taucht „interkulturell“ vor allem im Zusammenhang mit Trainings und Kursen auf, in denen zum Beispiel „interkulturelle Kompetenz“ erworben werden soll. In diesen instrumentellen Verwendungsweisen geht es um den erfolgreichen oder gewinnbringenden Umgang mit (zumeist migrationsbedingter) Diversität, der sich in Erhöhung von Kundenzufriedenheit, Unternehmenseffizienz aber auch in gelingender pädagogischer Arbeit ausdrücken kann. Ein Oberbegriff dieser Strategien des Umgangs mit Interkulturalität ist „diversity management“ (Gogolin & Krüger-Potratz 2010).

In der Fachsprache der Interkulturellen Erziehungswissenschaft sind Ingrid Gogolin und Marianne Krüger-Potratz zufolge die Begriffe „interkulturell“ und „multikulturell“ folgendermaßen voneinander zu differenzieren: „Mit dem Begriffsbestandteil ‚multi…‘ wird nach weitgehender Übereinkunft eine beschreibende Perspektive eingenommen, während in ‚inter‘ eine programmatische Dimension mitschwingt“ (dies. 2010, 110). Eine eindeutige Differenzierung beider Begriffe ist jedoch auch deshalb schwierig, weil im angloamerikanischen Sprachraum der Begriff  „multicultural“ synonym zum deutschen „interkulturell“ verwendet wird „in dem Sinne, dass eine programmatische, nicht deskriptive Absicht damit verbunden wird“ (ebd. 113). Vereinzelt wird auch in der deutschsprachigen Interkulturellen Erziehungswissenschaft explizit an die im anglo-amerikanischen Raum geführte ‚Multikulturalismusdebatte‘ angeknüpft (vgl. z.B. Neubert et al. 2002), wenn diese auch nicht explizit erziehungswissenschaftlich, sondern eher philosophisch und gesellschaftstheoretisch orientiert ist (vgl. Bronfen et al. 1997). Neben „multikulturell“ und „interkulturell“ wird auch der Begriff „transkulturell“ verwendet, der vor allem durch Wolfgang Welsch in die Diskussion eingebracht und von den Begriffen „interkulturell“ und „multikulturell“ abgegrenzt wurde (ders. 1998).

Nicht nur über das jeweilige Präfix wird innerhalb verschiedener wissenschaftlicher Fachrichtungen debattiert, auch der Wortbestandteil „Kultur“ sorgt für kritische Debatten auch und gerade innerhalb der Interkulturellen Erziehungswissenschaft. Sowohl in alltagsprachlichen, bildungspolitischen, ökonomischen, pädagogisch-praktischen aber auch wissenschaftlichen Diskursen wird der der Verwendung des Adjektivs „interkulturell“ zugrunde liegende Kulturbegriff nicht immer klar definiert und expliziert. Vor allem von Seiten der Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaften wird auf die Gefahr eines reduktionistischen und deterministischen Kulturbegriffs hingewiesen, der die Komplexität sozialer Realität nicht abbilden kann, sondern „als Sprachversteck für Rasse“ fungiert (Leiprecht 2004). Mit dem Begriff der „Kulturalisierung“ wird die Zuschreibung angeblich kulturbedingter Eigenschaften bezeichnet, der ein solcher einschränkender und determinierender Kulturbegriff zugrunde liegt (vgl. Kalpaka & Mecheril 2010). Exotisierungen und Essentialisierungen sind Instrumente von Kulturalisierung (vgl. ebd.). In wissenschaftlichen Debatten wird auf die Gefahr aufmerksam gemacht, durch Kulturalisierungen andere Auslöser für gesellschaftliche Problemlagen – wie etwa soziale Ungleichheit, Rassismus oder andere Formen von Diskriminierung – aus dem Blick zu verlieren (vgl. Auernheimer 2012).

Einige Erziehungswissenschaftler/innen regen vor diesem Hintergrund an, auf den Begriff „Kultur“ ganz zu verzichten und damit auch auf das Adjektiv „interkulturell“. Als Bezeichnung der wissenschaftlichen Fachrichtung wird zum Beispiel „Migrationspädagogik“ vorgeschlagen (Mecheril et al. 2010), andere ergänzen oder ersetzen das Konzept Kultur durch das des Milieus (vgl. Nohl 2006).

Die Frage nach dem zugrundliegenden Konzept von Kultur bekommt so eine Schlüsselfunktion für wissenschaftliche Disziplinen, die sich mit Interkulturalität beschäftigen (vgl. Auernheimer 2012).

Besonders im Bereich schulischer Bildung wird der Begriff interkulturell gegenwärtig durch den Begriff der Inklusion ergänzt oder auch ersetzt. So stellt Roth (2013, 140) fest: „Für den gesellschaftlichen und pädagogischen Umgang mit sprachlicher Diversität scheint sich im Moment der Begriff ‚Inklusion‘ international anzubieten“. Er führt aus, dass unter diesem Begriff die intersektionellen Verschränkungen verschiedener Differenzlinienwie z.B. Kultur, Sprache, Gender, Klasse oder Behinderung in den Blick genommen werden könnten.

Im einigen pädagogisch-praktischen und bildungspolitischen Diskursen droht der Begriff „inklusiv“ jedoch auf das gemeinsame Unterrichten von Kindern mit und ohne Behinderung verkürzt zu werden. Hinz weist jedoch auf die eigentlich weitere Bedeutung des Konzepts hin, demnach Inklusion bedeute, „Konstruktionen von zwei klar abgrenzbaren Gruppierungen kritisch in den Blick zu nehmen – seien sie männlich und weiblich, deutsch und ausländisch, behindert und nichtbehindert, weiß und schwarz, reich und arm, schwul und hetero, dick und dünn oder was auch immer“ ( Hinz o.J., 1). In dieser Bedeutung schließt Inklusion als Programmatik gegen Ausgrenzung und Besonderung an Positionen der Interkulturellen Erziehungswissenschaft an.

Literatur:

Auernheimer, Georg (2012): Einführung in die Interkulturelle Pädagogik. 7. überarb. Aufl. Darmstadt.

Gogolin, Ingrid/Krüger-Potratz, Marianne (2010): Einführung in die Interkulturelle Pädagogik. 2. Aufl. Opladen.

Hinz, Andreas (o.J.): Aktuelle Erträge der Debatte um Inklusion – worin besteht der ‚Mehrwert’ gegenüber Integration? Online verfügbar: http://www.nrw-eineschule.de/sites/default/files/Hinz%20Aktuelle%20Ertraege%20der%20Debatte%20um%20Inklusion.pdf [Zugriff: 05.06.2013].

Kalpaka, Annita/Mecheril, Paul (2010): „Interkulturell“. Von spezifisch kulturalistischen Ansätzen zu allgemein reflexiven Perspektiven. In: Dies. u.a.: Migrationspädagogik. Weinheim/Basel. S. 77-98.

Leiprecht, Rudolf (2004): Kultur – Was ist das eigentlich? Online:  http://www.staff.uni-oldenburg.de/rudolf.leiprecht/download/Kulturtextveroeffentl..pdf [Zugriff: 30.4.2013].

Mecheril, Paul u.a. (2010): Migrationspädagogik. Weinheim/Basel.

Neubert, Stefan/Roth, Hans-Joachim/Yildiz, Errol (2002): Multikulturalität in der Diskussion. Neuere Beiträge zu einem umstrittenen Konzept. Opladen.

Nohl, Arnd-Michael (2006): Konzepte interkultureller Pädagogik. Eine systematische Einführung. Bad Heilbrunn.

Roth, Hans-Joachim (2013): Kommunikation und Sprache. In: Holzbrecher, Alfred (Hrsg.): Interkulturelle Schule. Eine Entwicklungsaufgabe. Schwalbach/Ts. S. 117-141.

Welsch, Wolfgang (1998): Transkulturalität. Zwischen Globalisierung und Partikularisierung. In: Universität Mainz (Hg.): Interkulturalität - Grundprobleme der Kulturbegegnung (Mainzer Universitätsgespräche, Sommersemester 1998), S. 45-72.

 

Kontakt:

Katrin Huxel

Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Katrin.huxel@uni-muenster.de

Juni 2013


Quellenverweis:
http://www.inklusion-lexikon.de/interkulturell_huxel.pdf

 

 

 



[1] vgl. z.B. Angela Merkels Aussage: „der Ansatz für Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert“ auf dem Deutschlandtag der Jungen Union in Potsdam 2010 (vgl. Spiegel online http://www.spiegel.de/politik/
deutschland/integration-merkel-erklaert-multikulti-fuer-gescheitert-a-723532.html, Zugriff: 13.06.2013)