Carsten Rensinghoff

Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB)

 

1. Einleitung

Obwohl das Bundesteilhabegesetz (BTHG), welches zu Änderungen im SGB IX führt, massive Kritik einstecken musste und muss (vgl. z.B. Bartz 2019; Frickenhaus 2019; Smikac 2019), ist dem Gesetzgeber mit der EUTB ein großer Wurf gelungen. Am 1. Januar 2018 wurde die EUTB in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt. Sie kann, da sie vor allem auch die Einbeziehung Behinderter einfordert, als ein entscheidender Prozess hin zum Pol Inklusion betrachtet werden.

 

2. Fakten zur EUTB

Gesetzlich geregelt ist die EUTB in §32 SGB IX. Erkannt wurde, dass die Individualisierung von Leistungen einen erhöhten Bedarf an Beratung notwendig macht. „Um diesen sicherzustellen, sind die gesetzlichen Voraussetzungen für ein unentgeltliches, allen Menschen mit (drohenden) Behinderungen offenstehendes Angebot zur Beratung über Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe zu schaffen, das nicht an die Voraussetzung einer Beitragspflicht, Mitgliedschaft oder besondere Tatbestandsmerkmale geknüpft ist. Die Einrichtung und Förderung eines niedrigschwelligen Angebotes, das die bestehenden Angebote ergänzt, soll eine unabhängige Beratung und Aufklärung bereits im Vorfeld der Beantragung konkreter Leistungen ermöglichen, die weitgehend frei von ökonomischen Interessen und haushaltsrechtlichen Interessen und Kostenverantwortung insbesondere der Leistungsträger und Leistungserbringer sind“ (BT-Drs. 18/9522, 245).

§32 Absatz 3 SGB IX stellt die Förderung von Beratungsangeboten von Betroffenen für Betroffene besonders heraus. Ein „besonderes Augenmerk liegt auf dem sogenannten ‚Peer Counseling‘, der Beratung von Betroffenen für Betroffene“ (ebd., 246). §32 Absatz 3 SGB basiert auf Artikel 26 Absatz 1 CRPD (Convention on the Rights of Persons with Disabilities). Und hier tritt eine gewisse Unschärfe zutage, denn ursprünglich heißt es in Artikel 26 Absatz 1 CRPD:

States Parties shall take effective and appropriate measures, including through peer support (Herv. CR), to enable persons with disabilities to attain and maintain maximum independence, full physical, mental, social and vocational ability, and full inclusion and participation in all aspects of life. To that end, States Parties shall organize, strengthen and extend comprehensive habilitation and rehabilitation services and programmes, particularly in the areas of health, employment, education and social services, in such a way that these services and programmes:

a) Begin at the earliest possible stage, and are based on the multidisciplinary assessment of individual needs and strengths;

b) Support participation and inclusion in the community and all aspects of society, are voluntary, and are available to persons with disabilities as close as possible to their own communities, including in rural areas.“

In Artikel 26 Absatz 1 ist von Peer Support die Rede. In der Kommentierung zu § 32 Absatz 3 SGB IX (BT-Drs. 9522/18, 246) hingegen ist von Peer Counseling die Rede. Diese beiden Beratungsmethoden beeinflussen die Beratung in nicht unbedeutender Weise.

 

3. Peer Counseling

Beim Peer Counseling handelt es sich um eine Beratungsmethode, die von behinderten Experten in eigener Sache, die über eine erlebte Kompetenz verfügen, ratsuchenden gleichartig Betroffenen angeboten wird. Peer Counseling orientiert sich an den Kompetenzen und Ressourcen der Ratsuchenden. Die Beratung ist ganzheitlich, im Sinne des EUTB-Mottos „Eine für alle!“, und erfolgt nicht nach Behinderungsformen. Die Ratsuchenden werden als Experten in eigener Sache begriffen, weil sie über eine erlebte Kompetenz verfügen. Die Ratsuchenden sollen, im Sinne des Empowerment, gestärkt und ermächtigt werden (vgl. Herriger 2006). Parteilich erfolgt Peer Counseling unabhängig. Die Beratung ist ausschließlich dem Ratsuchenden gegenüber verpflichtet. Beim Peer Counseling liegt der Fokus auf der Beratung.

Für das Anbieten des Peer Counseling ist keine berufliche Qualifikation erforderlich, da die Behinderungserfahrung hier entscheidend ist. Da eine berufliche Qualifikation entbehrlich ist, können Menschen mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf in der geistigen Entwicklung gut Peer Counseling durchführen.

Benötigt wird für Peer Counseling die Erfahrung im Bemühen um Emanzipation und Selbstbestimmung, sowie das Erleben von Diskriminerung und Widerstand. Anbieter von Peer Counseling sollen ihre eigene Persönlichkeit achten, um so dann ein partnerschaftliches Akzeptieren und Wertschätzen der Ratsuchenden zu gewährleisten. Notwendig ist eine gewisse Sensibilität und ein ehrliches Interesse am gleichartig Betroffenen, am Peer.

Da die Träger der EUTB jedoch ein gewisses Anforderungsprofil für die sozialversicherungspflichtige Anstellung eines Beratenden haben, fallen Menschen mit einem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt geistige Entwicklung als potentielle Berater als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte aus dem System EUTB heraus.. Beispielsweise handelt es sich bei den geforderten Qualifikationen um:

·         ein erfolgreich abgeschlossenes Studium, (insbesondere Rehabilitationswissenschaft, Sozialwissenschaft, Sozialmedizin, Sozialrecht, Rechtswissenschaft)

·         Kenntnisse und Berufserfahrung im Bereich Teilhabe von Menschen mit Be-hinderungen / Rehabilitation

·         Kenntnisse in Sozialrecht (SGB IX, BTHG) und/ oder Sozialmedizin

·         Erfahrung in der Kooperation mit Behörden, Verbänden und Trägern

·         sehr gute kommunikative Fähigkeiten in Wort und Schrift

·         sehr gute EDV Anwender-Kenntnisse (Microsoft Office/ Anwendung von Datenbanken) und digitale Kompetenzen (z.B. Arbeit mit sozialen Medien)

·         sehr gute Selbstorganisation, autonomes Arbeiten und Teamfähigkeit

·         Zielorientierung/ Leistungsmotivation.

Menschen mit dem sonderpädagogischen Förderbedarf geistige Entwicklung verlieren hier als Bewerber. Das Anforderungsprofil der Träger der EUTB steht also diametral zur Inklusion.

 

4. Peer Support

Peer Support ist die Hilfe, die von einer behinderten Person angeboten wird, die über behinderungsbedingte Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit der eigenen Behinderung verfügt. Mit dieser Kompetenz unterstützt sie andere Behinderte und entscheidende Andere, wie Eltern, Lehrer, Ärzte, Nachbarn. Der Fokus beim Peer Support liegt auf der Unterstützung, der aktiven Unterstützung, also auch der Begleitung eines behinderten Ratsuchenden zu Behörden, Ärzten o.ä..

 

5. Tandemberatung

Bei einer Tandemberatung sind ein Berater mit erlebter Kompetenz und ein Berater mit erlernter Kompetenz bei der Beratung anwesend. Die Tandemberatung wird als eine Methode des Peer Counseling in der EUTB angesehen. Hierbei besteht allerdings die Gefahr, dass die Beratung zum Pol der nichtbehinderten Mehrheitsgesellschaft erfolgt. Das kann daran liegen, dass der behinderte Berater in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Berater mit erlernter Kompetenz steht, weil Erstgenannter z.B. für seinen ehrenamtlichen Einsatz ein Honorar erhält. Ein weiterer Grund, der mit dem vorgenannten Grund korrespondiert, liegt darin, dass der behinderte Berater dem Berater mit erlernter Kompetenz gefallen will und aus diesem Grund seine Beratung auf den Letztgenannten richtet.

In einer Tandemberatung ist eine Beratung Betroffener durch Betroffene, im Sinne des Peer Counseling, nicht möglich. Bei einer Tandemberatung handelt es sich um eine dialektische Beratung, da das Beratungsergebnis nach Vorgenanntem der sozialen Erwünschtheit des Beratenden mit erlernter Kompetenz entspricht und so die nichtbehinderte Mehrheitsgesellschaft in den Blick nimmt. Die erlebte Kompetenz des behinderungserfahrenen Beratenden und damit des Experten in eigener Sache tritt in den Hintergrund.

 

6. Fazit

Die EUTB ist ein sinnvolles Instrument, welches die Selbstbestimmung und Teilhabe Behinderter stärkt. Über Peer Counseling und Peer Support ist eine effektive Beratung möglich.  Leider können wohl Menschen mit dem sonderpädagogischen Förderbedarf geistige Entwicklung das Anforderungsprofil für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bei einem Träger der EUTB nicht erreichen. So bleibt ihnen dann weiterhin als marktwirtschaftlicher Nullfaktor die Rolle des Almosenempfängers durch die Wohltäter-Mafia. Die EUTB produziert so dann auch Verlierer!

 

Literatur

Bartz, G.: Kritik am Bundesteilhabegesetz hält an! URL: https://kobinet-nachrichten.org/de/1/nachrichten/38693 - veröffentlicht am Montag, 17. September 2018 [Download: 25.02.2019].

BT-Drs. 18/9522: Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 05.09.2016.

Frickenhaus, R.: „Die Guten ins Töpfchen …“ – befördert das Bundesteilhabegesetz (BTHG) die Entsolidarisierung mit den Schwächsten? URL: https://kobinet-nachrichten.org/de/1/kolumne/37198/  – veröffentlicht am Freitag, 15. Dezember 2017 [Download: 25.02.2019].

HERRIGER, Norbert: Empowerment in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. Stuttgart ³2006.

Smikac, H.: Bundesteilhabegesetz verunsichert. URL: https://kobinet-nachrichten.org/de/1/nachrichten/38418/Bundesteilhabegesetz-verunsichert.htm - veröffentlicht am Montag, 23. Juli 2018, [Download: 25.02.2019].

 

 

 

Kontakt:

Dr. phil. Carsten Rensinghoff

rensinghoffc@gmail.com

 

04. März 2019

 

Quellenverweis:  http://www.inklusion-lexikon.de/EUTB_Rensinghoff.php