Beratung in pädagogischen Kontexten mit Blick auf Inklusion

Kerstin Ziemen

Beratung (engl. „guidance“, „advice“) ist eine Form der Interaktion zwischen Menschen und zielt darauf ab, Fragen, Probleme, Unsicherheiten durch Informationen, Gespräche, Entscheidungs- und Orientierungshilfen zu bearbeiten, einer Lösung zuzuführen bzw. sich dieser anzunähern. Die Ratsuchenden werden dabei unterstützt, selbst eine Lösung zu finden, eine Krise zu verarbeiten oder  Frage- und Problemstellungen zu klären.

Wenn in unterschiedlichen Beratungsansätzen auch verschiedene Vorgehensweisen präferiert werden, sind folgende Aspekte grundlegend:

- Beratungsanliegen, Fragestellung, Problem formulieren, herausarbeiten;

- Sammlung und Bereitstellung von Informationen;

- Auswertung der Informationen und Ausarbeitung von Entscheidungskriterien;

- Vermittlung und Herstellung von Kontakten (vgl. Greving & Ondracek 2013, 25ff.);

- Unterstützung, Entscheidungshilfen, Orientierungsmöglichkeiten bereitstellen und

- Prozesse der Entscheidungsfindung unterstützen.

Beratung findet in verschiedensten Formen statt. Neben einer professionellen bzw. institutionellen Form von Beratung, gibt es auch Beratung in alltäglichen Situationen.

Es werden drei Formalisierungsgrade von Beratung unterschieden:

Die informelle Beratung durch Bekannte oder Freunde, die halbformalisierte Beratung, welche Gespräche mit nicht ausgewiesenen, aber durch ihren Beruf zur Beratung qualifizierten Personen wie Lehrkräfte oder Ärzte und Ärztinnen beinhalten, und schließlich die formalisierte Beratung bei ausgewiesenem Beratungspersonal in Beratungsstellen oder Sprechstunden (vgl. Nestmann et. al 2008, 22).

Es besteht eine große Vielfalt an Beratungsansätzen, deren Differenzierung immer weiter voran schreitet. So können z. B. lösungsorientierte, klientenzentrierte, systemische, kooperative, ressourcenorientierte Konzepte u.v.a.m. unterschieden werden (vgl. Nestmann et al. 2007; Wagner 2012, 287). Den unterschiedlichen Ansätzen liegen nicht nur verschiedene Vorgehensweisen zugrunde, sondern auch  unterschiedliche Theorie- bzw. Menschenbildannahmen (vgl. auch Ricking 2011, 276).

Die Komplexität in gesellschaftlichen und sozialen Feldern führt dazu, dass Beratung einen immer größeren Stellenwert im Leben von Menschen einnimmt. Die Entwicklungen mit Blick auf Inklusion stellen alle Beteiligten vor Herausforderungen. Beratung bekommt hierbei entscheidende Bedeutung. Diese richtet sich an die Schülerinnen und Schüler, die Schulleitung, wird aber vor allem von Fachkräften und Eltern eingefordert.

Die Beratung von Eltern bzw. Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung  zielt darauf, die Eltern bei „der Neuorientierung in kritischen Lebenslagen, der Konfrontation mit schwer zu ertragenden Erlebnisinhalten, der Informationsgewinnung und -anpassung an aktuelle Lebensumstände, der Entscheidungsfindung, der Aktivierung elterlicher Ressourcen und Handlungskompetenzen“ (van Nek 2009, 338, zit. nach Schnoor 2006, 7 f.) zu unterstützen. Irritationen und Fragen entstehen durch die soziale Situation der Familie, insbesondere die neue fremde Situation nach der Geburt des Kindes oder der Diagnosestellung, durch die Reaktionen des Umfelds und die ggf. wahrgenommenen widersprüchlichen Situationen (vgl. Ziemen 2002). Es stellen sich u.a. Fragen nach den Auswirkungen der Diagnose, nach Entwicklung, nach Unterstützung des Kindes, nach Bildung und Erziehung, Schullaufbahn, Berufsorientierung, Leben als Erwachsene, Freizeitmöglichkeiten u.a.m.  Eltern beklagen nach wie vor unzureichende, fehlende oder nicht vernetzte Beratungsangebote (vgl. auch van Nek 2009, 341; Langner 2012). Sie wünschen sich besonders, dass mehr Aufklärung geleistet wird und sie durch Hilfsangebote und eine Rechtsberatung entlastet werden (vgl. Langner 2012, 49).

Entwicklungen mit Blick auf Inklusion stellen die Eltern vor allem im schulischen Kontext vor neue Herausforderungen, so z. B. den geeigneten Schulort für ihr Kind wählen zu können. Das erfordert eine Beratung, die  alle Möglichkeiten offenlegt, die Informationen in ausreichendem Maße zur Verfügung stellt und die einen Überblick über unterschiedliche Schulkontexte schafft. Eltern greifen hierbei häufig zu Beratungsangeboten von Selbsthilfegruppen und Vereinen, die erfahrungsbasiert beratend tätig werden und niedrigschwellige Angebote unterbreiten. Das Peer Counceling ist ein geeignetes Instrument, um unter Berücksichtigung der Vorgaben der UN-BRK das Recht auf Beteiligung (Artikel 4, Abs. 3) durchzusetzen. Eltern sollten kompetent über inklusive Bildung informiert werden.

 

Im Kontext von Inklusion kommt der Beratung und Unterstützung der Fachkräfte eine ebenso große Bedeutung zu. Im deutschsprachigen Raum wird v.a. die Kooperation der Fachkräfte in den Mittelpunkt gerückt (vgl. dazu Werning/Arndt 2013).

In inklusiv ausgerichteten Schulsystemen im internationalen Raum, so z.B. in Kanada, können die Lehrpersonen stets auf personelle Unterstützung zurückgreifen, z.B. durch  Teacher Assistant oder das Methods & Resource Team (vgl. Köpfer 2013, 230 ff.). Diese leisten direkte Unterstützung bzw. Beratung im unterrichtlichen Kontext. „Inclusion wird... als Aufgabe und Verantwortung für die gesamte Schule verstanden“ (ebd.).

Die Beratungsbedürfnisse von Lehrpersonen und Teams beziehen sich auf einzelne Schülerinnen und Schüler und ihre Lernvoraussetzungen; Informationen zu Diagnosen; Entwicklungspotentiale von Schülerinnen und Schülern; konkrete didaktische Fragestellungen und Differenzierungsmöglichkeiten im Unterricht; Gestaltung von Lernarrangements; Unterstützung bei der Kooperation mit Eltern.

Eine besondere Form der Beratung ist die „kollegiale Beratung“ als „eine Art der Beratungshilfe, die auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit unter Fachkollegen basiert“ (Greving/Ondracek 2013, 112). Hierbei geht es um den Austausch bei Problemsituationen im beruflichen Alltag. „Die belastende Berufssituation des Kollegen... wird zum Gegenstand einer gemeinsamen Betrachtung“ (ebd. 113).

In pädagogischen Kontexten Herausforderungen zu meistern wird gelingen, wenn die beteiligten Akteure nach gemeinsamen Wegen suchen bzw. die Möglichkeit nach gegenseitiger Unterstützung und Beratung aus dem System selbst heraus bzw. von außen erhalten und nutzen können.

 

Literatur

Greving, H./Ondracek, P.: Beratung in der Heilpädagogik. Kohlhammer, Stuttgart 2013.

Köpfer, A.: Inclusion in Canada. Klinkhardt, Bad Heilbrunn 2013.

Langner, A.: Inklusion – eine „enorme“ Kraftanstrengung für die Eltern. Neu-Ulm, SPAK 2012.

Nestmann, F./Engel, F./Sickendiek, U. Das Handbuch der Beratung, Band 1&2. DGVT-Verlag, Tübingen 2008.

Ricking, H.: Beratung statt Selektion. In: Kaiser, A./ Schmetz, D./ Wachtel, P./ Werner, B.: Didaktik und Unterricht. Kohlhammer, Stuttgart 2011, 274-279.

Schnoor, H.: Psychosoziale Beratung in der Sozial- und Rehabilitationspädagogik. Stuttgart 2006.

Van Nek, S.: Beratung von Eltern behinderter Kinder. In Theunissen, G./Wüllenweber, E.: Zwischen Tradition und Innovation. Lebenshilfe-Verlag, Marburg 2009, 338-342.

Wagner, F.: Theorie und Praxis der Beratung in sonderpädagogischen Handlungsfeldern: Aktuelle Tendenzen und Herausforderungen. In: Ztschr. f. Heilpädagogik, 7/2012, 287-293.

Werning, R./Arndt, A.-K.: Inklusion: Kooperation und Unterricht entwickeln. Klinkhardt, Bad Heilbrunn 2013.

Ziemen, K.: Das bislang ungeklärte Phänomen der Kompetenz. Kompetenzen von Eltern behinderter Kinder. AFRA, Butzbach-Griedel 2002.

Ziemen, K.: Elternqualifizierung und Familienbildung. In: Kaiser, A./Schmetz, D./Wachtel, P./ Werner, B.: Bildung und Erziehung. Kohlhammer, Stuttgart 2010, 280-284.

 

Kontakt:

 

Univ.-Prof.’in Dr. Kerstin Ziemen

kziemen@uni-koeln.de

Januar 2015

 

Quellenverweis: http://www.inklusion-lexikon.de/Beratung_Ziemen.php